In-vivo-Therapien: CRISPR/Cas im menschlichen Körper

Fünf Studien testen die Möglichkeit, Krankheiten direkt im menschlichen Körper mit der Genschere CRISPR/Cas zu behandeln.

in-vivo-Therapien mit CRISPR

CRISPR/Cas wird u.a. für die Therapie von Sichelzellanämie und ß-Thalassämie getestet

Im Jahr 2020 erfolgte der erste Versuch, mit der Genschere CRISPR/Cas das Erbgut direkt im menschlichen Körper zu verändern. Mittlerweile gibt es fünf Studien mit diesem Ziel:

Fünf weitere klinische Studien nutzen CRISPR/Cas, um das Erbgut von Körperzellen im Labor zu verändern:

Transthyretin-Amyloidose (Intellia Therapeutics)

Überzeugende Ergebnisse zeigte eine Therapie der US-Firma Intellia Therapeutics, die gegen die sehr seltene Erkrankung Transthyretin-Amyloidose (ATTR) gerichtet ist. Die Genschere soll ein Stoffwechselgen in der Leber ausschalten und damit schädliche Proteinablagerungen in Körpergeweben verhindern. Erste Zwischenergebnisse deuten an, dass die Produktion eines fehlgefalteten Proteins drastisch reduziert wurde.

Welche Krankheit wird behandelt?

Weltweit sind etwa 50 000 Menschen von der ATTR betroffen. Die Ursache liegt in einem Defekt in dem Transportprotein Transthyretin: Transthyretin wird von der Leber erzeugt, in das Blut freigesetzt und ist am Transport von Vitamin A und Schilddrüsenhormonen beteiligt. Ein Gendefekt führt zu Fehlfaltungen von Transthyretin, die zu Ablagerungen in Körpergeweben führen. Betroffen sind vor allem Herz (Kardiomyopathie) und Nervengewebe (Polyneuropathie). Die Krankheit verläuft schleichend, führt aber häufig zum Tode.

Wie wirkt die Therapie?

Die Therapie NTLA-2001 wird systemisch über den Blutkreislauf in den Körper der Erkrankten verabreicht. Sie basiert auf Lipidvesikeln, die die Genschere Cas9 in Form von Boten-RNA sowie die guideRNA enthalten1. Die Vesikel gelangen in die Leber und werden von den Leberzellen aufgenommen. Die Genschere inaktiviert das Gen für Transthyretin und verhindert die Herstellung des Proteins. Transthyretin ist nicht lebensnotwendig, die Inaktivierung des Gens hat daher keine schwerwiegenden Folgen.

Gibt es bereits Zwischenergebnisse?

Die Studie ist 2021 gestartet und hat bislang 15 ATTR-Patienten mit Polyneuropathie eingeschlossen, die vier unterschiedlichen Dosen von NTLA-2001 erhielten2. Bei 12 Patienten, die höhere Dosen erhielten, zeigte sich eine eindeutige Wirkung3:

  • der Plasmaspiegel von Transthyretin verringert sich um etwa 90 %
  • die Wirkung lässt über den bisherigen Beobachtungszeitraum von 6 bis 16 Monaten nicht nach
  • die Nebenwirkungen blieben eher mild, es waren keine Schäden im Lebergewebe beobachtbar
  • allerdings ist noch unklar, ob die Symptome der ATTR zurückgehen (der Beobachtungszeitraum ist zu kurz)

Lebersche kongenitale Amaurose 10 (Editas Medicine)

Als bislang nur eingeschränkt wirksam zeigte sich eine Therapie gegen die Augenerkrankung Lebersche kongenitaler Amaurose 10 (LCA10). Die US-Firma Editas Medicine will mit CRISPR/Cas9 einen Defekt in dem Gen CEP290 beheben und eine normale Funktion des Gens ermöglichen.

Welche Krankheit wird behandelt?

Die seltene Erbkrankheit LCA10 wird durch Mutationen in mindestens 15 verschiedenen Genen verursacht, darunter auch das Gen CEP290. Dieser Gendefekt stört die Funktion von Photorezeptorzellen in der Augennetzhaut und führt bereits im frühen Kindesalter zur Erblindung.

Wie wirkt die Therapie?

Die CRISPR-basierte Therapie EDIT-101 soll die Mutation herausschneiden und die Aktivität des CEP290-Gen wiederherstellen. Die Therapie wird dazu direkt unter die Netzhaut des Auges injiziert.

Gibt es bereits Zwischenergebnisse?

Die BRILLIANCE-Studie untersucht die Sicherheit und Wirksamkeit von EDIT-101 an insgesamt 18 Kindern und Erwachsenen. Im März 2020 wurde der erste Patient behandelt. Erste Daten aus dem Jahr 2022 waren eher enttäuschend, im Mai 2024 sahen die Ergebnisse etwas besser aus: Bei 11 von 14 Behandelten zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Sehkraft. Von einer Heilung ist die Therapie aber noch weit entfernt4.

Ob der Ansatz kommerziell erfolgreich sein kann, ist jedoch fraglich. Aufgrund des finanziellen Risikos hat Editas bereits 2022 die Notbremse gezogen und die Aufnahme neuer Studienteilnehmer gestoppt. Seither sucht die Firma nach einem finanzstarken Partner für die Weiterführung der Studie5.

Familiäre Hypercholesterinämie (Verve Therapeutics)

Die meisten Varianten von CRISPR/Cas zerschneiden den DNA-Strang in zwei Teile – ein Eingriff mit potenziell schädlichen Folgen. Eine neue Variante soll das Erbgut auf schonendere Art verändern: Sie lässt den DNA-Strang weitgehend intakt, verändert aber gezielt einzelne Basen. Diese Methode wird base editing genannt.

Welche Krankheit wird behandelt?

Die US-Firma Verve Therapeutics will mit dem CRISPR-basierten base editing die angeborene familiäre Hypercholesterinämie behandeln. Diese relativ häufige Störung des Lipid-Stoffwechsels erhöht das Risiko von Arteriosklerose und Herzinfarkt.

Wie wirkt die Therapie?

Die Therapie trägt die Bezeichnung VERVE-101. Die genetische Information für die Genschere und die Zielsequenz werden in Lipid-Vesikel verpackt und direkt in die Blutbahn gegeben. Im Erbgut von Leberzellen tauscht das base editing an einer Stelle die Base Adenin (A) durch Guanin (G) aus – in der Folge wird das Gen PCSK9 inaktiviert.

Die natürliche Funktion des Enzyms PCSK9 besteht darin, die Zahl von LDL-Cholesterin-Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen zu senken. Die Inaktivierung von PCSK9 erhöht die Zahl der Rezeptoren, LDL-Cholesterin wird vermehrt von Zellen aufgenommen und verschwindet aus dem Blutkreislauf. Drei andere, nicht CRISPR-basierte Arzneimittel sind bereits als PCSK9-Hemmer zugelassen.

Gibt es bereits Zwischenergebnisse?

Im April 2024 wurden Zwischenergebnisse von 13 Studienteilnehmern veröffentlicht6. 6 Teilnehmer erhielten eine mittlere Dosis, die den Cholesterinspiegel nach einem Monat um durchschnittlich 46 % senken konnte. Damit war die Therapie ähnlich wirksam wie bereits zugelassene Medikamente. Allerdings betrug die Nachbeobachtungszeit nur 6 Monate, so dass die Langzeitwirkung noch nicht beurteilt werden kann.

Allerdings traten bei einem Studienteilnehmer Komplikationen auf, die vermutlich durch die Therapie ausgelöst wurden. Kurz nach der Behandlung stiegen die Werte eines Leberenzyms im Blut an, während die Zahl der Blutplättchen abnahm. Der Patient hatte jedoch keine akuten Beschwerden, und die Werte normalisierten sich nach einigen Tagen wieder.

Dennoch entschied sich die Firma, die Studie in dieser Form zu stoppen. Ende 2024 soll eine neue Variante der Therapie (VERVE-102) getestet werden: Sie verwendet andere Lipidvesikel und könnte das Risiko von Komplikationen verringern.

Hereditäres Angioödem (Intellia Therapeutics)

Eine zweite Studie der US-Firma Intellia Therapeutics nutzt CRISPR/Cas, um die teils lebensgefährlichen Schwellungen beim hereditären Angioödem zu verhindern. Die Therapie wirkt auf Leberzellen und inaktiviert das Gen des Plasmaproteins Kallikrein. Erste Zwischenergebnisse zeigen, dass die Kallikrein-Spiegel deutlich sinken und manche Behandelte frei von Symptomen blieben.

Welche Krankheit wird behandelt?

Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine seltene Erbkrankheit, die etwa 1 von 50 000 Menschen betrifft7. Ursache ist ein Defekt in dem Gen des C1-Inhibitors, der u. a. an der Regulierung des Kallikrein-Kinin-Systems beteiligt ist. Als Folge kommt es in unregelmäßigen Abständen zu Schwellungen, meist im Gesicht oder an den Gliedmaßen. Wenn die Schwellungen die oberen Atemwege betreffen, können Todesfälle durch Erstickung eintreten.

Wie wirkt die Therapie?

Der Verlust des C1-Inhibitors führt zu einer verstärkten Aktivierung von Kallikrein, die wiederum eine verstärkte Wassereinlagerung in Körpergeweben verursacht. Die Gentherapie NTLA-2002 verhindert die Symptome, indem sie die Freisetzung von Kallikrein in das Blut verringert.

Dazu wird die genetische Information der Genschere CRISPR/Cas und der Zielsequenz in Lipidvesikel verpackt und direkt in das Blut der Betroffenen gegeben. Nach Aufnahme durch Leberzellen inaktiviert die Genschere das Kallikrein-Gen.

Gibt es bereits Zwischenergebnisse?

Die Studie startete im Dezember 2021, die letzten Zwischenergebnisse wurden im Februar 2024 in einem Fachjournal veröffentlicht8. 10 Patienten hatten drei verschiedene Dosierungen erhalten, die Beobachtungszeit betrug bis zu 13 Monate. Die wichtigsten Ergebnisse lauteten:

  • der Plasmaspiegel von Kallikrein sank bei der niedrigen Dosis nach 48 Wochen um 67 %, bei der hohen Dosis nach 32 Wochen um 95 %
  • die Zahl der entzündlichen Reaktionen verringerte sich um durchschnittlich 95 %
  • bei 9 von 10 Teilnehmern waren die Anfälle vollständig verschwunden, die Wirkung hielt bis zu 13 Monaten an
  • die Therapie wurde meist gut vertragen

AIDS (Excision BioTherapeutics)

Bisherige Therapien halten die Immunschwäche AIDS zwar unter Kontrolle, können das HI-Virus aber nicht restlos aus dem Körper beseitigen. Ein Ansatz der US-Firma Excision BioTherapeutics soll diese ruhenden Viren aufspüren und unschädlich machen. Das Ziel ist eine vollständige Heilung von AIDS.

Welche Krankheit wird behandelt?

HIV ist ein Retrovirus und kann sich direkt in das Erbgut der befallenen Zellen einlagern. Es geht dann in eine ruhende Form über, die von gängigen retroviralen Therapien nicht erfasst wird. Die ruhenden Viren können erwachen, sich im Körper ausbreiten und einen erneuten Ausbruch der Immunschwäche verursachen. Um dies zu vermeiden, müssen AIDS-Kranke lebenslang Medikamente einnehmen.

Wie wirkt die Therapie?

Die CRISPR-Therapie EBT-101 soll AIDS-Kranken helfen, deren akute Krankheitssymptome durch die retrovirale Therapie vollständig unterdrückt werden9. Sie schneidet das HIV-Genom an drei unterschiedliche Stellen, um möglichst große Bereiche zu eliminieren. Dies soll die Entwicklung von Resistenzen durch das Virus weitgehend unterdrücken.

Die genetischen Informationen für die Genschere und die Zielsequenzen werden mit einer AAV-Genfähre in den Körper transportiert. Dazu erfolgt eine einmalige Infusion in die Venen.

Gibt es bereits Zwischenergebnisse?

Der erste Patient wurde im Juli 2022 behandelt, zwei weitere folgten bis Ende 2023. Erste Daten nach bis zu 12 Monaten zeigten, dass der Eingriff nur geringe Nebenwirkungen ausgelöst hat. Die ersten Daten zur Wirksamkeit werden erst im Jahr 2024 vorgestellt10.

1 Gillmore et al., CRISPR-Cas9 In Vivo Gene Editing for Transthyretin Amyloidosis, New England Journal of Medicine, August 2021 (Link)
2 Studie NCT04601051, Study to Evaluate Safety, Tolerability, Pharmacokinetics, and Pharmacodynamics of NTLA-2001 in Patients With Hereditary Transthyretin Amyloidosis With Polyneuropathy (ATTRv-PN) and Patients With Transthyretin Amyloidosis-Related Cardiomyopathy (ATTR-CM), ClinicalTrials.gov, abgerufen im März 2022 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 K. LaHucik, Intellia's CRISPR program that edits genes directly in patients shows durability in ATTR amyloidosis, Endpoint News, Juni 2022 (Link)
4 Pierce et al., Gene Editing for CEP290-Associated Retinal Degeneration, New England Journal of Medicine, Mai 2024 (Link)
5 N. Pagliarulo, Editas to seek partner for CRISPR medicine after lackluster study results , BioPharmaDive, November 2022 (Link)
6 N. Pagliarulo, Verve pauses base editing trial, shifts strategy after treatment side effect, BioPharma Dive, April 2024 (Link)
7 Dobke und Wahn, Hereditäres Angioödem (HAE), kinderblutkrankheiten.de, Stand Juli 2020 (Link)
8 Longhurst et al., CRISPR-Cas9 In Vivo Gene Editing of KLKB1 for Hereditary Angioedema, New England Journal of Medicine, Februar 2024 (Link)
9 Excision BioTherapeutics, Excision BioTherapeutics Doses First Participant in EBT-101 Phase 1/2 Trial Evaluating EBT-101 as a Potential Cure for HIV, Pressemitteilung, September 2022 (Link)
8 A. Regalado, Three people were gene-edited in an effort to cure their HIV. The result is unknown., MIT Technology Review, Oktober 2023 (Link)

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