Zolgensma – Gentherapie gegen spinale Muskelatrophie

Die Gentherapie Zolgensma bremst den Muskelschwund bei der spinalen Muskelatrophie (SMA). In ersten Studien verbesserte sie die motorische Entwicklung und verlängerte das Leben der Betroffenen.

Zolgensma

Ein Adenovirus transportiert eine korrekte Version des Gens SMN1 in Motoneuronen

Die spinale Muskelatrophie ist eine Erbkrankheit, die bereits im Kleinkindalter zum Tod führen kann. Zu den wenigen Behandlungsmöglichkeiten gehört eine Gentherapie des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Mit einem Preis von 1,9 Millionen Euro zählt Zolgensma zu den teuersten Medikamenten der Welt.

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde hat Zolgensma im Mai 2019 für den US-Markt zugelassen. Im Mai 2020 erteilte auch die europäische Arzneimittelbehörde EMA die Zulassung für die Europäische Union. Die Gentherapie ist seit Juli 2020 in Deutschland verfügbar, einen Zusatznutzen kann eine deutsche Kommission jedoch nicht erkennen1.

Im August 2022 wurde bekannt, dass zwei Kinder nach der Behandlung mit Zolgensma verstarben: Als Ursache gilt ein akutes Leberversagen2. Die Mehrzahl der bis dahin behandelten 2300 Kinder litt jedoch nur unter vergleichsweise milden Nebenwirkungen.

Die Krankheit – Verfall der Motoneuronen

Auslöser der spinalen Muskelatrophie (SMA) ist ein erblicher Defekt in dem Gen SMN1. Erbt ein Kind defekte Genkopien von beiden Elternteilen, können spezialisierte Nervenzellen im Rückenmark nur kurzzeitig überleben3. Diese Motoneuronen leiten Impulse aus dem Gehirn an zahlreiche Muskeln im ganzen Körper weiter. Fehlen diese Impulse, können sich auch die Muskeln nicht richtig entwickeln.

Die SMA wird in vier Typen unterteilt, je nachdem welche Meilensteine der motorischen Entwicklung die betroffenen Kinder erreichen. Bei der schwersten Verlaufsform, dem Typ I, sterben die Kinder meist innerhalb der ersten zwei Lebensjahre an Atemschwäche.

Der Nutzen – verbesserte motorische Entwicklung

Die ersten Erkenntnisse über den Nutzen von Zolgensma lieferte eine kleine Studie mit 15 Kindern, die an SMA Typ I leiden. Verglichen mit unbehandelten Kindern waren deren bisherige Entwicklung beeindruckend4: Von 12 Kindern, die die höchste Dosis erhalten haben, erlangten 11 die Kopfkontrolle und 10 können selbständig sitzen. 24 Monate nach der Behandlung waren alle noch am Leben.

Diese Ergebnisse konnten in zwei weiteren Studien bestätigt werden: Die eine präsentierte vorläufige Daten von 22 SMA Typ I Patienten5, die andere Beobachtungsdaten von 76 Patienten mit SMA Typ 1 und Typ 215. Verlässliche Resultate für Patienten mit SMA Typ 3 liegen noch nicht vor.

Die bisherigen Studien deuten an, dass Zolgensma im Vergleich zu Spinraza keinen Zusatznutzen liefert6. Eine Kombination der beiden Therapien wäre in Zukunft möglich: Bereits jetzt werden mindestens sieben der Zolgensma-Patienten mit Spinraza weiterbehandelt7.

Die Therapie – Einschleusen des Gens SMN1

Die Gentherapie Zolgensma (onasemnogene abeparvovec) schleust eine funktionsfähige Variante des Gens SMN1 in Körperzellen ein. Dazu wird das Gen in eine spezialisierte Genfähre verpackt, einen adeno-assoziierten viralen Vektor. Das Ziel der Genfähren sind die Motoneuronen des Rückenmarks, die das Gen SMN1 für ihr Überleben und das Aufrechterhalten ihrer Funktion benötigen.

Zolgensma wird nur einmalig verabreicht. Es wird über eine Vene im Arm oder Bein direkt in die Blutbahn eingebracht und gelangt von dort in das Rückenmark.

Die Nebenwirkungen – in seltenen Fällen schweres Leberversagen

Bislang blieben die Nebenwirkungen von Zolgensma, verglichen mit der Schwere der Erkrankung, meist in einem vertretbaren Rahmen. Manche Patienten zeigen anfangs einen erhöhten Spiegel an Transaminasen im Blut, was auf eine Belastung der Leber hinweist. Bei anderen Patienten nimmt die Zahl der Thrombozyten im Blut ab. Beide Nebenwirkungen legen sich meist schnell wieder und haben keine langfristigen Folgen.

Im August 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Patienten in Russland und Kasachstan nach der Behandlung mit Zolgensma verstarben2. Als Ursache gilt ein akutes Leberversagen, das unter Umständen durch die eingesetzte Genfähre ausgelöst wurde. Laut dem Hersteller bleibt das Nutzen-Risiko-Profil von Zolgensma weiterhin günstig: Zu diesem Zeitpunkt haben bereits 2300 Kinder eine Therapie mit Zolgensma erhalten, das akute Leberversagen wird daher als seltene Nebenwirkung eingestuft.

Die Alternativen – Spinraza und Evrysdi

Seit 2017 stellt die US-Firma Biogen mit Spinraza (Wirkstoff Nusinersen) ein Medikament zur Verfügung, das den Muskelschwund deutlich vermindern kann. Es muss alle vier Monate in die Rückenmarksflüssigkeit injiziert werden, die Therapiekosten betragen im ersten Jahr 750 000 Euro und in den Folgejahren 375 000 Euro15.

In den USA ist seit 2020 das Medikament Evrysdi (Wirkstoff Risdiplam) zugelassen. Das Produkt des Schweizer Konzerns Roche wird als Tablette eingenommen werden und kostet je nach Körpergröße jährlich zwischen 100 000 und 340 000 US-Dollar8.

Das unabhängige IQWiG veröffentlichte im August 2021 eine frühe Nutzenbewertung: Es fand keinen Nachweis, dass der Einsatz von Zolgensma einen Vorteil gegenüber Spinraza bietet6. Allerdings blieben wichtige Fragen unbeantwortet, da noch keine geeigneten Daten vorliegen.

Die Entwicklung – Daten von Tierversuchen manipuliert

Entwickelt wurde die Zolgensma ursprünglich vom Arzt Brian Kasper am Nationswide Children Hospital in Columbus, Ohio. Finanziert wurde die Forschung zu einem beträchtlichen Teil von einer gemeinnützigen Stiftung, die die Eltern eines an SMA verstorbenen Kindes gegründet hatten9.

Im Jahr 2013 übertrug das Krankenhaus die Rechte an der Gentherapie an die US-Firma AveXis, die sich seit der Gründung im Jahr 2010 auf Gentherapien spezialisiert hat. Im Jahr 2018 übernahm der Schweizer Pharma-Riese Novartis die Firma für einen Preis von 8,7 Milliarden US-Dollar.

In den USA wurde Zolgensma im Mai 2019 zugelassen, die Europäischen Union folgte fast genau ein Jahr später. Da bislang allerdings nur wenige Patienten behandelt wurden, sollen in Deutschland weitere Daten erhoben werden, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie besser beurteilen zu können10.

Nach der US-Zulassung wurden zwei Fälle bekannt, in denen Wissenschaftler Daten aus Tierversuchen manipuliert hatten. Im ersten Fall hatte Novartis den Herstellungsprozess von Zolgensma verändert, aber dazu nicht die korrekten Vergleichsdaten geliefert. Laut der US-Arzneimittelbehörde hatte diese Manipulation aber keine Auswirkungen auf die Sicherheit und die Wirksamkeit des zugelassenen Medikaments. Im zweiten Fall wurden in einer Publikation von 2010 die Anzahl und Lebensdauer von Versuchstieren falsch dargestellt11. Auch diese Manipulation hat keinen Einfluss auf die Bewertung des Medikaments.

Die Kosten – 1,9 Millionen Euro

In den USA verlangt Novartis für eine Behandlung mit Zolgensma gut 2,1 Millionen US-Dollar, verteilt über einen Zeitraum von fünf Jahren7. Nach Berechnungen des unabhängigen US-Instituts ICER liegt der Preis an der oberen Grenze dessen, was als gerechtfertigt und kosteneffizient gelten kann12.

In Deutschland kostet eine Behandlung mit Zolgensma etwa 1,9 Millionen Euro kosten, inklusive zusätzlich notwendiger Leistungen13. Sollte sich die Gentherapie als unwirksam erweisen, werden die Kosten wohl zumindest teilweise rückerstattet14.

1 Deutsches Ärzteblatt, Kein Zusatznutzen für Gentherapie Zolgensma anerkannt, aerzteblatt.de, November 2021 (Link)
2 Pharmazeutische Zeitung, Novartis bestätigt Todesfälle nach Zolgensma-Therapie, August 2022 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Initiative SMA, Krankheitsbild – Initiative Forschung und Therapie für die Spinale Muskelatrophie, abgerufen Februar 2022 (Link)
4 Zolgensma (AVXS-101), SMA News Today, Stand Dezember 2021 (Link)
5 Novartis, AveXis data reinforce effectiveness of Zolgensma® in treating spinal muscular atrophy (SMA) Type 1, Pressemitteilung, 16. April 2019 (Link)
6 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Spinale Muskelatrophie: Zweiter und dritter Wirkstoff durchlaufen Nutzenbewertung, iqwig.de, August 2021 (Link)
7 A. Feuerstein, At $2.1 million, newly approved Novartis gene therapy will be world’s most expensive drug, STAT News, 24. Mai 2019 (Link)
8 T. Dingermann, Evrysdi: Orale Konkurrenz für Spinraza und Zolgensma, Pharmazeutische Zeitung, August 2020 (Link)
9 Grill und Kempmann, Zolgensma – Wie das teuerste Medikament der Welt entstand, tagesschau.de, Mai 2020 (Link)
10 Zolgensma: G-BA konkretisiert Verfahren zu anwendungs­begleitender Datenerhebung, Deutsches Ärzteblatt, Juli 2020 (Link)
11 Z. Brennan, More early data manipulation issues tied to Novartis blockbuster as Nature retracts paper, Endpoints News, Oktober 2022 (Link)
12 Institute for Clinical and Economic Review (ICER), ICER Comments on the FDA Approval of Zolgensma for the Treatment of Spinal Muscular Atrophy, Pressemitteilung, 24. Mai 2019 (Link)
13 Techniker Krankenkasse, Gentherapeutika – Hoffnungsträger oder Systemsprenger?, TK-Report, März 2024 (Link)
14 Spinale Muskelatrophie: Gentherapie Zolgensma ab 1. Juli auf dem deutschen Markt, Ärzteblatt, Juni 2020 (Link)
15 Deutsches Ärzteblatt, Spinale Muskelatrophie: Gentherapie bewährt sich in der Praxis, aerzteblatt.de, November 2021 (Link)

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Kurz und knapp

  • bei der spinale Muskelatrophie führt das Absterben von Motoneuronen ab zu einem Muskelschwund
  • die Gentherapie Zolgensma schleust das Gen SMN1 in Motoneuronen ein und verlängert deren Überleben
  • in einer ersten kleinen Studie überlebten Kinder mit SMA Typ I länger und zeigten eine verbesserte motorische Entwicklung
  • mögliche Nebenwirkungen sind ein Transaminasen-Anstieg und ein Mangel an Thrombozyten, beides nur vorübergehen
  • in Deutschland ist Zolgensma seit 2020 verfügbar, der Preis liegt bei 1,9 Millionen Euro
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