Epigenetik: Wie die Umwelt das Genom formt

Was formt den Menschen – Gene oder Umwelt? Schon die Frage führt in die Irre: Umwelt und Genom sind keine Gegenspieler, sondern arbeiten Hand in Hand.

Ein neues Forschungsfeld – die Epigenetik – widmet sich der Frage, ob die Umwelt einen Einfluss auf das Genom hat. Es geht dabei um dauerhafte Markierungen im Erbgut, die bei einer Zellteilung auf die nächste Generation übergehen. Diese Markierungen schaffen eine neue Informationsebene auf dem Genom – das Epigenom (epi: griech. auf).

Epigenetik und Umwelt

Spuren im Erbgut: Die Nahrung von Bienen kann das Genom beeinflussen und die Aktivität der Gene verändern.

Der Begriff „Umwelt“ wird in diesem Zusammenhang aber oft missverstanden. Denn die Wirkung des Epigenoms entfaltet sich in einzelnen Körperzellen1,2. Und für eine Zelle ist die Umwelt überschaubar: Es ist das Gewebe, in dem sie sich befindet. Diese Umwelt – also das umliegende Gewebe – ist voller Signalmoleküle, die wichtige Informationen übertragen und das Zusammenleben der Zellen organisieren.

Gelee Royal und Epigenetik

Manche Signale haben eine lang anhaltende Wirkung: Sie formen das Epigenom und fixieren den aktuellen Zustand der Zelle. Jede Zelle erfüllt dann exakt ihre vorgegebene Aufgabe, ohne durch unkoordiniertes Verhalten den Organismus zu gefährden. Anders gesagt: Eine Zelle, die in der Haut sitzt, kann nicht spontan Muskelgewebe hervorbringen.

Das ist auch eine wesentliche Aufgabe des Epigenoms: Es ermöglicht die geordnete Entwicklung von mehrzelligen Lebewesen.

Ein wichtiger Umweltreiz, der tatsächlich von außerhalb des Körpers stammt, ist die Nahrung3 – sie nimmt großen Einfluss auf die Entwicklung. Bei Bienenlarven sogar auf dramatische Weise: Erhalten die Larven Gelee Royal als Nahrung, werden sie zur Königin. Ansonsten fällt ihnen das Los der Arbeiterin zu.

Das Gelee Royal nimmt massiv Einfluss auf das Epigenom und verändert die Aktivität von über 5000 Genen4. Und so wird eine Biene entweder zu einer aktiven, aber sterilen Arbeiterin oder zu einer trägen, aber fortpflanzungsfähigen Königin. Die Ernährung prägt das Epigenom und entscheidet so über das Schicksal der Biene.

Soziale Kontakte verändern das Epigenom

Auch die Beziehung zur Mutter ist ein Teil der Umwelt. Die prägende Wirkung auf Kinder hinterlässt sogar Spuren im Epigenom, zumindest bei Ratten: Ängstliche Mütter nehmen sich wenig Zeit für die Brutpflege, und dies hat Auswirkungen auf mehr als 300 Gene im Gehirn der Nachkommen.

Eines davon ist der Glucocorticoid-Rezeptor, der eine wichtige Rolle bei der Stressbewältigung spielt. Epigenetische Markierungen reduzieren die Aktivität des Gens ein Leben lang: Die erwachsenen Tiere reagieren genauso ängstlich wie die Mutter. Ein Kindheitstrauma, das im Epigenom konserviert ist.

Und beim Menschen? Auch hier gibt es Hinweise, dass die Ernährung (besonders in frühen Entwicklungsphasen) und soziale Kontakte epigenetische Spuren hinterlassen. Doch das Wissen ist noch arg begrenzt1. Für konkrete Hinweise, wie das Epigenom von Kindern positiv beeinflusst werden kann, ist es daher eindeutig noch zu früh. Forscher warnen sogar davor – derartige Ratschläge stellen nur eine überflüssige und ungerechtfertigte Belastung der Eltern dar5.

1 B. Horsthemke, A critical appraisal of clinical epigenetics, Clinical Epigenetics, Juli 2022 (Link)
2 Cavalli und Heard, Advances in epigenetics link genetics to the environment and disease, Nature, Juli 2019 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 C. Skarke, Diet-Epigenome Axis, Circulation: Genomic and Precision Medicine, August 2020 (Link)
4 Mao et al., A dietary phytochemical alters caste-associated gene expression in honey bees, Science Advances, August 2015 (Link)
5 Richardson et al., Don't blame the mothers, Nature 2014 (Link)

Epigenetik und Umwelt

Spuren im Erbgut: Die Umwelt kann das Genom beeinflussen und die Aktivität der Gene verändern.

Definition der Epigenetik

Die Erforschung von Molekülen und Mechanismen, die alternative Zustände der Genaktivität im Kontext derselben DNA-Sequenz dauerhaft aufrechterhalten können2.

Aufbau des Erbguts

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Wissenswertes

Epigenetik

Genomforschung

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⇒ Epigenetik

Kurz und knapp

  • Epigenetik untersucht den Einfluss von äußeren Signalen auf die Gene
  • bei Körperzellen stammen äußere Signale meist aus dem umliegenden Gewebe
  • epigenetische Markierungen werden bei der Teilung auf Tochterzellen weiter gegeben
  • die Markierungen bilden quasi ein Gedächtnis für vergangene Ereignisse
  • die Mechanismen der Epigenetik regulieren die Aktivität von Genen, ohne die Basensequenz der DNA zu ändern
  • starke Umwelteinflüsse außerhalb des Körpers können manchmal das Epigenom beeinflussen
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