Januar 2025
Dieser Newsletter von wissensschau.de informiert im Abstand von zwei Monaten über jüngste Entwicklungen bei der Gentherapie und den CAR-T-Zellen.
Klinische Studien
Erstmals Erbkrankheit im Körper eines Babys behandelt
Ärzteblatt
Ein direkter Eingriff in das Erbgut eines 6 Monate alten Säuglings konnte die Auswirkungen eines Ornithin-Transcarbamylase (OTC)-Mangels mildern. Im Alter von 12 Monaten hatte sich der Protein-Stoffwechsel des Kindes normalisiert, eine bei dieser Erkrankung meist notwendige Leber-Transplantation ist vorausichtlich überflüssig. Als Nebenwirkung trat nur eine schwache Entzündungsreaktion auf.
Entwickelt wurde die Gentherapie von der US-Firma iECURE, die von dem Gentherapie-Pionier James Wilson gegründet wurde. Dessen Karriere stand vor 25 Jahren kurz vor dem Aus, als ein erster Versuch zur Behandlung des OTC-Mangels tödlich endete. Das Zwischenergebnis der aktuellen Studie hat die Firma im Januar veröffentlicht. In den nächsten Monaten sollen 12 weitere Kinder die Therapie erhalten.
Für die Therapie transportierte eine AAV-Genfähre das korrekte OTC-Gen in den Körper des Säuglings. Allerdings baute sich die Fähre nicht von selbst in das Erbgut ein: In den schnell wachsenden Organen des Kindes wäre das Gen daher vermutlich bald verloren gegangen. Deshalb war eine zweite AAV-Genfähre nötig, die gleichzeitig ein Enzym namens Arcus einschleuste. Dieses Enzym konnte das Erbgut zerschneiden und eine Eintrittspforte für das OTC-Gen öffnen.
Gentherapie schützt das Herz bei seltener Stoffwechsel-Krankheit
New England Journal of Medicine
Eine Gentherapie verhinderte das Fortschreiten der erblichen Danon-Krankheit: Das krankhaft vergrößerte Herz schrumpfte um durchschnittlich 24 Prozent und zeigte langfristig eine verbesserte Funktionsfähigkeit. Der Eingriff hatte zum Teil schwere Nebenwirkungen, die aber innerhalb weniger Monate abklangen. Die Studie hatte 6 männliche Teilnehmer im Alter von 11 bis 21 Jahren, die Wirkung hielt bis zu 54 Monate lang an.
Ursache der Danon-Krankheit ist ein Defekt in dem Stoffwechsel-Gen LAMP2. Die experimentelle Therapie der US-Firma Rocket Pharmaceuticals nutzt eine AAV-Genfähre, um eine funktionsfähige Version des Gens in Herzmuskelzellen einzuschleusen. Die Studie wurde in den USA durchgeführt und im November im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Die Danon-Krankheit wird über das X-Chromosom vererbt und betrifft daher vor allem Männer. Unbehandelt führt der Verlust der Herzfunktion im frühen Erwachsenenalter zum Tod. Eine Herztransplantation ist bisher die einzige Behandlungsmöglichkeit, kann aber keine langfristige Heilung bringen.
CAR-T-Zellen gegen bösartigen Hirntumor
Nature
CAR-T-Zellen gegen den Krebsmarker GD2 können das diffuses Mittelliniengliom zurückdrängen, einen meist inoperablen Hirntumor. Der Eingriff zeigte bei 7 von 11 Behandelten eine deutliche Wirkung, in 4 Fällen schrumpfte der Tumor sogar um 50 bis 100 Prozent. Ein Tumor verschwand vollständig für den Beobachtungszeitraum von 30 Monaten. Zu den häufigsten Nebenwirkung gehörte das Zytokinfreisetzungssyndrom, das aber meist mild verlief.
Die CAR-T-Zellen wurden zunächst über die Vene verabreicht. Bei 9 Teilnehmern erfolgten weitere Infusionen direkt ins Gehirn, die bei Erfolg etwa monatlich wiederholt wurden. Die Studie wurde an der Universität Stanford in Kalifornien durchgeführt und im Januar in Nature veröffentlicht.
Das diffuse Mittelliniengliom kann in der Regel nicht operiert werden, Chemotherapien sind wirkungslos. Die mittlere Überlebenszeit beträgt etwa ein Jahr. Die CAR-T-Zelltherapie hat erste Hinweise auf Wirksamkeit gezeigt, ihr Einfluss auf das Gesamtüberleben ist aber noch unklar. Die Forscher wollen die Therapie noch weiterentwickeln, um höhere Ansprechraten und ein längeres Überleben zu erreichen.
Forschung
Das Gen cBIN1 lindert Herzschwäche bei Schweinen
npj Regenerative Medicine
Minischweine mit künstlich erzeugter Herzschwäche erholen sich, wenn das Gen cBIN1 in ihre Herzzellen eingeschleust wird. Die Herzfunktion normalisiert sich, die krankhafte Vergrößerung der Herzkammern wird gestoppt und der Anteil des ausgeworfenen Blutvolumens steigt von etwa 20 auf 50 Prozent. Die Versuche wurden bislang an 12 Tieren durchgeführt.
Der Transfer des Gens in die Herzzellen erfolgte mit Hilfe einer AAV-Genfähre. Die Studie wurde an der Universität von Utah durchgeführt und im Dezember in dem Fachjournal npj Regenerative Medicine veröffentlicht.
Das Gen cBIN1 ist an der Regulation von Kalziumströmen beteiligt, die in Herzzellen ein wichtiges Signal für die Muskelkontraktion darstellen. Es gibt Hinweise, dass die Aktivität dieses Gens bei Menschen mit Herzschwäche vermindert ist. Bevor die cBIN1-Therapie am Menschen getestet werden kann, sind jedoch noch umfangreiche Vorarbeiten im Tierversuch notwendig.
Programmierte CAR-T-Zellen werden nur im Gehirn aktiv
Science
Das künstliche Signalmolekül synNotch erhöht die Zielgenauigkeit von CAR-T-Zellen: Es stellt sicher, dass sich die Zelle im Gehirn befindet und aktiviert erst dann ihre Abwehrfunktion.
Bei Mäusen konnte so ein Hirntumor wirksam und ohne schwere Nebenwirkungen bekämpft werden. Dabei wurden zwei Krebsmarker verwendet, die auch in gesundem Gewebe außerhalb des Gehirns vorkommen. Ohne synNotch hätten die CAR-T-Zellen dort schwere Schäden verursacht.
synNotch ist eine Variante des natürlichen Notch-Rezeptors. Forschende aus San Francisco haben synNotch so konstruiert, dass er Bindegewebe im Gehirn erkennt und gleichzeitig die Produktion des CAR-Moleküls steuert. Grundsätzlich ist es auch möglich, synNotch an andere Gewebe und Funktionen im Körper anzupassen. Die Studie erschien im Dezember in der Fachzeitschrift Science.
Methoden
Aus zwei mach eins – große Gene in Teilen einschleusen
Science
RNA-basierte Enzyme können Gen-Fragmente vereinen, die getrennt voneinander in Zellen eingeschleust werden. Die kurzen RNA-Moleküle – Ribozyme genannt – befinden sich jeweils an einem Ende der Fragmente. Sie werden in der Zelle aktiviert und erzeugen Bindungsstellen, die mit hoher Effizienz von zelleigenen Enzymen zusammengefügt werden. Das Einschleusen der Gen-Fragmente erfolgt mit AAV-Genfähren.
Die Ribozyme könnten die Einsatzmöglichkeiten der relativ kleinen AAV-Genfähren deutlich erweitern. So können die Fähren auch größere Gene transportieren, die vor allem bei Muskelerkrankungen benötigt werden. In ersten Versuchen mit Mäusen gelang es auch, eine Form der Muskeldystrophie zu lindern. Forschende aus den USA haben die Studie im Januar im Fachjournal Science veröffentlicht.
Wirtschaft
Gentherapien gegen Sichelzellanämie laufen schleppend an
BioPharma Dive
Seit einem Jahr sind in den USA zwei Gentherapien gegen Sichelzellanämie zugelassen, doch erst zwei Patienten haben die notwendige Infusion erhalten. Ein Grund: Die Vorlaufzeiten für die Therapien Casgevy und Lyfgenia sind sehr lang. Untersuchungen, Vorbereitung und Herstellung dauern mehrere Monate, manchmal sogar ein ganzes Jahr. Dutzende Interessenten befinden sich noch in der Vorbereitung und werden die Therapie erst in diesem Jahr erhalten.
Ein zweiter Grund sind die Vorbehalte vieler möglicher Patienten gegenüber den Therapien. Häufig sind Menschen afrikanischer Herkunft betroffen, die oft schlechte Erfahrungen mit der europäisch geprägten Medizin gemacht haben. Zudem ist vielen Betroffenen nicht klar, wer die immensen Kosten der Behandlung übernimmt. Auch deshalb sind Gentherapien immer noch ein Nischenprodukt – obwohl in den USA bis zu 20.000 Erkrankte für eine Behandlung infrage kämen.
CRISPR-Firmen unter Druck
Fierce Biotech
Die US-Firmen Editas Medicine und Intellia Therapeutics wollen einem erheblichen Teil ihrer Belegschaft kündigen. Beide Firmen wurden vor über 10 Jahren gegründet, um die Möglichkeiten der Genschere CRISPR/Cas für die Medizin zu nutzen. Doch nun mussten einst vielversprechende Studien gestoppt werden, weil kaum Aussicht auf einen kommerziellen Erfolg bestand.
Intellia hat im Januar angekündigt, 27 Prozent der Mitarbeiter zu entlassen. Außerdem wird die Entwicklung mehrerer Therapien eingestellt, darunter eine gegen den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel. Die Firma hofft, dass ihre Rücklagen bis 2027 reichen: Dann sollen zwei Therapien gegen die Transthyretin-Amyloidose und das hereditäre Angioödem auf den Markt kommen.
Noch härter trifft es Editas, wo 65 Prozent der Belegschaft und zwei Führungskräfte gehen müssen. Im Dezember hatte die Firma die Suche nach einem finanzstarken Partner aufgegeben, der die Weiterentwicklung einer Therapie gegen die Sichelzellanämie ermöglichen sollte. Editas will sich nun auf in-vivo-Anwendungen von CRISPR/Cas konzentrieren.