Sex und Gene – Geschlechtliche Fortpflanzung schützt vor Parasiten

Theoretisch sind Männer überflüssig: Bei vielen Tierarten werden die Weibchen ohne Paarung schwanger und bringen wiederum nur Weibchen zur Welt. Warum also Sex?

Die Jungfernzeugung – eine Fortpflanzung nur durch Weibchen – hat offenkundige Vorteile: Alle Individuen einer Art können Nachkommen austragen und knappe Ressourcen müssen nicht mit gefräßigen Männchen geteilt werden. Trotzdem bildet sie bei Tieren eher die Ausnahme – Sex scheint also doch Vorteile zu haben.

Wettlauf zwischen Wirt und Parasit: "Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst" (Grafik: J. Tenniel)

Wettlauf mit Parasiten – die Red-Queen-Hypothese

Fadenwürmer und Zwergdeckelschnecken könnten die Antwort geben: Sex schützt vor der Ausrottung – zumindest im Labor. Eine rein weibliche Population kann sich nicht wirksam gegen Parasiten wehren und stirbt schließlich aus. Diese Beobachtung steht im Einklang mit einer Theorie aus der Evolutionsforschung: der Red-Queen-Hypothese1.

Diese Hypothese bezieht sich auf ein Buch von Lewis Caroll. Darin erklärt die rote Königin (engl.: red queen) der kleinen Alice: „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst“. 1973 wählte der Biologe Leigh Van Valen dieses Bild, um seine Vorstellung der Evolution zu illustrieren2: Arten entwickeln sich ständig weiter, ihre Fitness hingegen ändert sich nicht. Sprich: Die Fähigkeit, in ihrer Umwelt zu überleben, bleibt unverändert. Denn ein Großteil des Aufwandes wird allein dazu betrieben, um sich gegen Konkurrenten und Fressfeinde zu behaupten.

Geschlechtliche oder Jungfernzeugung?

Später wurde diese Theorie auf die Fortpflanzung übertragen: Sex könnte dazu dienen, die Widerstandskraft gegen Krankheitserreger zu stärken. Bakterien, Viren und einzellige Parasiten vermehren und verändern sich mit einer Geschwindigkeit, bei der Pflanzen und Tiere nicht mithalten können. Werden die Gene jedoch in jeder Generation neu gemischt, kann dieser Geschwindigkeits-Nachteil wieder ausgeglichen werden.

Amerikanische Wissenschaftler haben die Red-Queen-Hypothese mit dem Fadenwurm C. elegans überprüft3. C. elegans kann sich sowohl geschlechtlich als auch durch Jungfernzeugung vermehren. In der Regel werden beide Wege beschritten, so dass unter Laborbedingungen etwa 20-30 Prozent der Fortpflanzung auf sexuellem Wege erfolgt.

Die Verhältnisse ändern sich drastisch, wenn die Würmer von dem Bakterium Serratia marcescens – ein gefährlicher Erreger – befallen werden. Innerhalb kurzer Zeit steigt der Anteil der geschlechtlichen Fortpflanzung auf 80-90 Prozent. Wurm-Populationen, die sich nur ungeschlechtlich vermehren können, werden durch das Bakterium ausgerottet. Eine rein sexuelle Fortpflanzung hingegen erhält die Population – Sex sichert also das Überleben.

Mehr Sex durch Parasiten

Ein ähnliches Verhalten wurde auch zwischen Schnecken und Saugwürmern beobachtet. Die in den Gewässern Neuseelands beheimatete Zwergdeckelschnecke wird von einem parasitischen Wurm befallen, der ihre Larven unfruchtbar macht. Als die Forscher den Parasiten in das Wasserbecken setzten, änderten die Schnecken rasch ihr Sexualverhalten: Die Zahl der sexuellen Akte und Partner stieg rasch an4. Auch dies kann als Bestätigung der Red-Queen-Hypothese angesehen werden.

Eine ständige Neuordnung der Gene sichert manchen Würmern und Schnecken das Überleben. Sollte dies für alle Lebewesen gelten5, hieße das: Der Sinn von Sex ist es, im ewigen Kampf gegen Krankheitserreger zu bestehen. Keine sehr romantische Vorstellung, aber zumindest eine biologisch plausible Erklärung.

1 Pierre et al., The advantage of sex: Reinserting fluctuating selection in the pluralist approach, PloS One, August 2022 (Link)
2 l. Van Valen, A new evolutionary law, Evolutionary Theory, 1973
alle Referenzen anzeigen 3 Morran et al., Running with the Red Queen: Host-Parasite Coevolution Selects for Biparental Sex, Science, Juli 2011 (Link)
4 Soper et al., Exposure to parasites increases promiscuity in a freshwater snail, Biology Letters, April 2014 (Link)
5 Aubier et al., Transmissible cancers and the evolution of sex under the Red Queen hypothesis, PLoS Biology, November 2020 (Link)
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Kurz und knapp

  • Tierarten können sich auch ohne Männchen vermehren
  • eine Form der Red-Queen-Hypothese sagt, dass sexuelle Fortpflanzung die Widerstandskraft gegen Krankheitserreger erhöht
  • die Neuordnung von Genen durch Sex eschwert es Erregern und Parasiten, die Oberhand zu gewinnen
  • Versuche mit Würmern und Schnecken stützen die Red-Queen-Hypothese
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