Nabelschnurblut – alte und neue Therapien
Zellen aus der Nabelschnur helfen bei Blutkrebs und Erbkrankheiten. Forscher arbeiten an weiteren Anwendungen, kommen aber nur langsam voran.
Nabelschnurblut in der Medizin
Im Oktober 1988 erhielt ein Junge mit Fanconi-Anämie das Nabelschnurblut seiner gesunden Schwester. Die Symptome der schweren Erbkrankheit verschwanden daraufhin fast vollständig – der erste große Erfolg einer neuen Zelltherapie. Heute werden viele weitere Erbkrankheiten – vor allem Immunschwächen und Stoffwechselstörungen – mit Stammzellen aus der Nabelschnur behandelt1.
Auch in der Krebsmedizin hat das Nabelschnurblut einen festen Platz, wie tausende Transplantationen weltweit belegen.
Doch Forschende hoffen auf mehr: Zahlreiche Studien gehen der Frage nach, ob Nabelschnurblut auch bei Krankheiten wie Autismus und Zerebralparese helfen kann. Von einem Durchbruch sind diese Versuche allerdings noch weit entfernt.
Inhalte
- Blutkrebs...
- Vorteile...
- Nachteile...
- Immunschwächen...
- Stoffwechselstörungen...
- Zerebralparese...
- Typ-1-Diabetes...
- Autismus...
- Fazit...
Behandlung von Krebs
Die Transplantation von Nabelschnurblut dient meist dazu, eine Krebstherapie zu unterstützen. Bei schweren Verläufen von Leukämien, Lymphomen und Myelomen ist es oft nötig, das Knochenmark vollständig zu beseitigen. Blutstammzellen aus der Nabelschnur können dann helfen, ein neues Blut- und Immunsystem aufzubauen.
Die Vorteile – unbelastet und wachstumsfreudig
Nabelschnurblut weist dabei vor allem drei Vorteile auf:
- Die Zellen aus der Nabelschnur sind tolerant und greifen den Körper des Empfängers nur selten an.
- Dank ihrer Jugend wachsen die Zellen gut und weisen kaum Schäden im Erbgut auf.
- Nabelschnurblut ist leicht zugänglich und gut zu lagern.
Trotz dieser Vorteile wird Nabelschnurblut nur selten verwendet. In Europa und einigen anderen Ländern wurden im Jahr 2022 insgesamt 178 Krebspatienten mit Nabelschnurblut behandelt. Etwa die Hälfte davon waren Kinder und Jugendliche. Nur in einem Fall – bei der Behandlung eines soliden Tumors – wurden körpereigene Zellen verwendet2.
Die Nachteile – zu geringe Menge
Die Nabelschnur enthält nur geringe Mengen Blut – und damit auch nur wenige Stammzellen. Dies kann Probleme verursachen: Je weniger Zellen übertragen werden, desto geringer sind die Erfolgsaussichten einer Transplantation.
Bei erwachsenen Patienten kann es daher deutlich länger dauern, bis das Immunsystem wieder aufgebaut ist. Der Körper ist in dieser Zeit kaum vor Krankheitserregern geschützt – das Risiko einer Infektion steigt damit deutlich an.
Ein möglicher Ausweg ist, erwachsenen Patienten die doppelte Menge Nabelschnurblut zu verabreichen. Dafür müssen jedoch zwei geeignete Proben gefunden werden. Forschende haben außerdem Methoden entwickelt, um Nabelschnurzellen im Labor zu vermehren. Ein Verfahren ist in den USA bereits zugelassen, in Europa jedoch noch nicht3.
In den letzten Jahren hat sich auch eine Alternative zur Stammzelltransplantation etabliert: Lymphome und Leukämien werden zunehmend mit CAR-T-Zellen behandelt. Diese neuartigen Therapien haben wahrscheinlich mit dazu beigetragen, dass Nabelschnurblut seltener eingesetzt wird: 2022 ging die Zahl der Transplantationen in Europa um 16 Prozent zurück1.
Behandlung von Erbkrankheiten
Erbliche Immunschwächen
Es gibt seltene Erbkrankheiten, die die Funktion des Immunsystems stark beeinträchtigen. Der Körper hat dann Krankheitserregern nur wenig entgegenzusetzen. Häufig besteht die einzige wirksame Therapie darin, das Immunsystem vollständig neu aufzubauen.
Im ersten Schritt der Behandlung wird das Knochenmark mit allen Blutstammzellen vollständig zerstört. Nach einer Transplantation können dann körperfremde Stammzellen das Knochenmark neu besiedeln und ein funktionsfähiges Immunsystem aufbauen. Auch der Einsatz körpereigener Stammzellen ist möglich, wenn zuvor der genetische Defekt durch eine Gentherapie behoben wurde. Seit 2016 ist dies beispielsweise mit der Therapie Strimvelis möglich.
Diese Therapien werden auch mit Nabelschnurblut durchgeführt, wenn auch selten – im Jahr 2022 wurden in Europa und einigen anderen Ländern insgesamt 13 Personen behandelt. In zwei Fällen kamen dabei Eigenspenden zum Einsatz1.
Vererbte Stoffwechselstörungen
Blutstammzellen können auch Stoffwechselerkrankungen lindern. Dies gilt vor allem für die sogenannte lysosomalen Speicherkrankheiten, die durch den Verlust eines Stoffwechselenzyms verursacht werden. Dadurch sammeln sich in Körperzellen schädliche Substanzen an, die manche Gewebe schwer schädigen können.
Eine Transplantation kann die Erkrankung indirekt lindern: Sie erzeugt neue Immunzellen, die in das geschädigte Gewebe einwandern und dort das fehlende Enzym ersetzen. Im Jahr 2022 wurden in Europa 21 Betroffene mit gespendetem Nabelschnurblut behandelt1.
Neue Studien
Es gibt noch eine Reihe anderer Krankheiten, für die eine Therapie mit Nabelschnurblut getestet wird4. Doch dabei handelt es sich meist um kleine Studien, die nur von einzelnen Forschungslaboren betrieben werden. Die Erfahrung lehrt, dass nur die wenigsten von ihnen Erfolg haben werden.Nabelschnurblut gegen Hirnschäden
Frühkindliche Schädigungen des Gehirns können zu Bewegungsstörungen führen, die unter dem Begriff Zerebralparese zusammengefasst werden. Eine wirksame Therapie für diese Störungen gibt es bisher nicht. Zellen aus dem Nabelschnurblut sollen jedoch Botenstoffe freisetzen, die die Entwicklung des Gehirns fördern und andere positive Effekte auslösen.
In sieben Studien wurde dies an über 400 Kindern getestet. Die Ergebnisse waren jedoch nicht eindeutig: Zwar schien es einigen Kindern nach der Behandlung mit Nabelschnurblut etwas besser zu gehen, ein klarer Nachweis für die Wirksamkeit fehlt jedoch.
Ausführliche Informationen zu diesem Thema finden Sie hier: Nabelschnurblut bei Zerebralparese – nur wenig Fortschritte
Kein Erfolg bei Typ-I-Diabetes
Studien mit Nabelschnurblut gibt es auch zu Typ-I-Diabetes, eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen im Kindesalter. Die Versuche beruhten auf Berichten, dass Nabelschnurblut beruhigend auf ein aus dem Gleichgewicht geratenes Immunsystem wirkt. Zellen aus der Nabelschnur, so die Hoffnung, könnten auch bei Diabetes die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse vor weiteren Angriffen schützen.
Eine erste Pilotstudie startete 2008 in den USA, kurz darauf folgten Forscher in China, Australien und Deutschland. Die Amerikaner und die Deutschen präsentierten die Ergebnisse schon vor Jahren – und sie waren wenig ermutigend5,6. Eine heilende Wirkung von Nabelschnurblut konnte nicht nachgewiesen werden. Inzwischen sind die Versuche weitgehend zum Erliegen gekommen.
Autismus – fragwürdige Versuche und negative Ergebnisse
Im Jahr 2014 begannen Forschende, Nabelschnurblut bei autistischen Kindern einzusetzen. Diese Versuche waren jedoch von Anfang an umstritten: Es gab keine stichhaltigen wissenschaftlichen Gründe, warum dieser Eingriff den Kindern helfen sollte.
Tatsächlich ergaben drei Studien in den USA kaum Hinweise darauf, dass Nabelschnurblut die Entwicklung autistischer Kinder unterstützen könnte. Signifikante Fortschritte im Sprachvermögen oder Sozialverhalten waren nicht nachweisbar. Dennoch setzte eine angesehen US-Klinik die Versuche bis ins Anfang 2023 fort.
Einige unseriöse Kliniken werben weiterhin damit, dass Nabelschnurblut eine positive Wirkung auf Autisten habe. Die Eingriffe sind oft sehr teuer, eine wissenschaftlich nachgewiesen Wirkung haben sie jedoch nicht.
Ausführliche Informationen zu diesem Thema finden Sie hier: Nabelschnurblut und Autismus – ein fragwürdiger Ansatz
Fazit
Weltweit lagern mehrere Millionen Nabelschnurblut-Spenden in flüssigem Stickstoff, Tendenz steigend. Der Einsatz in der Krebsmedizin ging zuletzt jedoch deutlich zurück. Bei der Behandlung von Erbkrankheiten sind nun Gentherapien auf dem Vormarsch. Und die Entwicklung neuer Anwendugen ist ins Stocken geraten.
Wie und ob die großen Vorräte an Nabelschnurblut zukünftig genutzt werden, ist daher noch unklar.
Teil 2/4: Alte und neue Therapien mit Nabelschnurblut
Teil 3/4: Öffentliche oder private Banken – wo spenden?
Teil 4/4: Nabelschnurblut einfrieren – Pro und Contra
2 Passweg et al., Hematopoietic cell transplantation and cellular therapies in Europe 2022. CAR-T activity continues to grow; transplant activity has slowed: a report from the EBMT, Bone Marrow Transplantation, Juni 2024 (Link)
alle Referenzen anzeigen
3 Penny et al., Umbilical cord blood derived cell expansion: a potential neuroprotective therapy, Stem Cell Research & Therapy, Juli 2024 (Link)4 Razak et al., Allogeneic Cell Therapy Applications in Neonates: A Systematic Review, Stem Cells Translational Medicine, Oktober 2023 (Link)
5 Haller et al., Autologous umbilical cord blood transfusion in young children with type 1 diabetes fails to preserve C-peptide., Diabetes Care 2011, vol. 34, pp. 2567-2569 (Link)
6 Giannopoulou et al., Effect of a single autologous cord blood infusion on beta-cell and immune function in children with new onset type 1 diabetes: a non-randomized, controlled trial., Pediatr Diabetes 2014, vol. 15, pp. 100-109 (Link)
Nabelschnurblut in der Medizin
Nabelschnurblut
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⇒ zugelassene Therapien
Kurz und knapp
- Nabelschnurblut wird bei schweren Leukämien, Lymphomen und Myelomen eingesetzt
- es kann auch angeborene Immunschwächen und Stoffwechselstörungen behandeln
- die Entwicklung neuer Anwendungen ist ins Stocken geraten
- der Einsatz von Nabelschnurblut in der Medizin ging zuletzt zurück