Induzierte pluripotente Zellen: Stammzellen aus dem Labor

iPS-Zellen entstehen im Labor, ähneln aber den Stammzellen eines Embryos. Forscher nutzen sie für die Untersuchung von Krankheiten, Ärzte bei der Entwicklung neuer Therapien.

Herstellung von iPS-Zellen

induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) werden durch Gentransfer aus normalen Gewebezellen erzeugt

Vier Gene wecken Fähigkeiten, die als verloren galten – sie verwandeln normale Körperzellen in entwicklungsfähige Stammzellen. Diese induzierten pluripotenten Stammzellen, kurz iPS-Zellen, können jede Zelle des menschlichen Körpers hervorbringen.

Mit dieser Entdeckung verblüffte der Japaner Shinya Yamanaka im Jahr 2006 die Fachwelt. Niemand hätte geglaubt, dass die Erzeugung von entwicklungsfähigen Stammzellen so einfach sein würde. Inzwischen sind iPS-Zellen aus Forschung und Medizin nicht mehr wegzudenken1. Und Yamanaka erhielt im Jahr 2012 den Nobelpreis für Medizin.

Vorarbeit mit Schafen und Fröschen

Die Zellen eines frühen Embryos besitzen die Fähigkeit, sich nahezu unbegrenzt zu entwickeln2. Alle Gewebe des Körpers können aus diesen embryonalen Stammzellen entstehen. Bis in die 1950er Jahre gingen Forscher davon aus, dass diese Eigenschaft – Pluripotenz genannt – später allmählich verloren geht. Die Entwicklung der Körperzellen schien eine Einbahnstraße zu sein, auf der es kein Zurück gab.

Ein Versuch aus dem Jahr 1962 brachte diese Vorstellung ins Wanken. Der britische Biologe John Gurdon nutzte die Zellen eines erwachsenen (adulten) Krallenfrosches, um daraus identische Klone zu erzeugen. Er konnte das volle Entwicklungspotenzial des Erbguts ausschöpfen, indem er die adulten Zellkerne in eine frische Eizelle überführte. Diese Methode – der somatische Kerntransfer – ermöglichte dann 1996 auch die Geburt des Klonschafs Dolly.

Geduldige Suche nach den richtigen Faktoren

In diesen Jahren begannen Forscher auch besser zu verstehen, wie das Entwicklungspotenzial von Körperzellen gesteuert wird. Eine sehr wichtige Rolle spielten dabei Transkriptionsfaktoren: Spezialisierte Proteine, die die Aktivität von Genen steuern.

Hier setzte Yamanakas Arbeit an. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Kazutoshi Takahashi suchte er systematisch nach Transkriptionsfaktoren, die adulte Zellen in einen pluripotenten Zustand zurückversetzen können. Zur Überraschung aller waren dafür nur die vier Proteine Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc nötig – sie werden seitdem als Yamanaka-Faktoren bezeichnet.

Im Jahr 2006 stellten Yamanaka und Takahashi auf diese Weise erstmals iPS-Zellen aus Mäusen her. Ein Jahr später gelang ihnen und einer weiteren Gruppe dies auch mit menschlichen Zellen.

Die Herstellung ist einfach, aber zeitaufwendig

iPS-Zellen werden heute noch häufig mit Hilfe der vier Yamanaka-Faktoren erzeugt. Die Forscher haben aber auch zahlreiche Alternativen entwickelt3: Oft sind dies andere Transkriptionsfaktoren, aber auch mit kleinen chemischen Molekülen ist die Reprogrammierung schon gelungen.

Fortschritte gab es auch bei der Art und Weise, wie diese Faktoren in die Zellen eingeschleust werden. Bei seinen ersten Versuchen benutzte Yamanaka ein verändertes Virus, das aber unter Umständen Krebs auslösen konnte. In den ersten Tierversuchen traten daher nicht selten Tumore auf. Heute nutzen Forscher andere Genfähren oder sogar rein chemische Methoden, um iPS-Zellen herzustellen. Das Krebsrisiko ist dadurch deutlich gesunken.

Andere praktische Probleme sind geblieben: Die Erzeugung von iPS-Zellen ist zwar technisch relativ einfach, aber sehr zeitaufwendig. Denn meist wird nur ein kleiner Teil der Gewebezellen in iPS-Zellen umgewandelt. Bis die Zellen heranwachsen und in ausreichender Zahl für Experimente zur Verfügung stehen, kann es längere Zeit dauern.

Zudem sind die enstandenen iPS-Zellen auch nicht einheitlich: Ihre Eigenschaften und Funktionen können sich voneinander deutlich unterscheiden. Dies ist zwar kein Fehler im Herstellungsprozess, sondern Teil der natürlichen Variabilität – erfordert aber dennoch eine gründliche Testung der Zellen.

Diesen Aufwand können sich Forscher heute allerdings oft sparen. Große Zellbanken halten zahlreiche iPS-Zelllinien bereit, deren Eigenschaften gut bekannt sind und die sich für viele Zwecke eignen. Die Banken geben die Zellen an interessierte Wissenschaftler weiter, die sie für ihre eigenen Experimente verwenden.

iPS-Zellen bringen die medizinische Forschung voran

In der Grundlagenforschung haben sich iPS-Zellen längst als Alternative zu den embryonalen Stammzellen etabliert. Biologisch unterscheiden sich diese beiden Zellarten nur geringfügig4, aber in der Praxis haben iPS-Zellen erhebliche Vorteile. So lösen sie im Gegensatz zu embryonalen Zellen keine ethischen Kontroversen aus. Die Forschung ist daher mit weniger Auflagen verbunden und die Finanzierung der Experimente ist – vor allem in Deutschland – deutlich einfacher.

Zudem bieten iPS-Zellen die einzigartige Möglichkeit, Gewebeproben von Patienten als Ausgangsmaterial zu verwenden. Seltene oder schwer zu untersuchende Krankheiten werden so für die Forschung leichter zugänglich. Und die Frage, welche Veränderungen bestimmte Erbkrankheiten in einzelnen Zellen auslösen, lässt sich im Labor leichter beantworten.

Forscher können das Erbgut der Zellen auch gezielt verändern, zum Beispiel mit der Genschere CRISPR/Cas. Unter bestimmten Laborbedingungen lassen sich aus iPS-Zellen auch kleine Modellversionen von Organen herstellen, so genannte Organoide. Diese kleinen Zellhaufen bestehen aus verschiedenen Zelltypen und können den Aufbau des Darms oder des Gehirns erstaunlich genau nachbilden. So lässt sich das Zusammenspiel der verschiedenen Zellarten im Detail untersuchen.

Mit diesen verschiedenen Methoden konnten Forscher zahlreiche Krankheitsmodelle erzeugen. Diese Modelle verwenden die iPS-Zellen, um die Entwicklung und die Auswirkungen vieler menschlicher Krankheiten im Labor zu untersuchen. Dazu gehören unter anderem3

  • neurologische Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit, das Parkinson-Syndrom oder die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie die dilatative Kardiomyopathie (DCM), die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) oder das Long-QT-Syndrom
  • Bluterkrankungen wie die Fanconi-Anämie oder einige seltene Immunerkrankungen

Ein nützliches Werkzeug für die Arzneimittelentwicklung

Krankheitsmodelle bieten auch die Möglichkeit, neue und bessere Medikamente zu entwickeln. Durch ein besseres Verständnis der Krankheit können neue Ansatzpunkte für Therapien gefunden werden. Mögliche Wirkstoffe können die Forscher dann direkt an diesen Modellen testen. Im ersten Schritt stehen dafür automatisierte Systeme zur Verfügung, die Tausende von chemischen Substanzen mit den iPS-Zellen in Kontakt bringen. Die Systeme messen dann auch, welche Wirkung die Substanzen auf die Zellen haben – vielversprechende Wirkstoffkandidaten werden so in kürzester Zeit identifiziert5.

Die iPS-Zellen können auch helfen, schädliche Nebenwirkungen zu erkennen. Die Entwicklung neuer Medikamente muss oft gestoppt werden, weil die Wirkstoffe die Funktion lebenswichtiger Organe beeinträchtigen. Am häufigsten sind Herz und Leber betroffen. iPS-Zellen aus diesen Organen können helfen, mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen. Oder umgekehrt: Wenn eine Substanz die iPS-Zellen nicht schädigt, ist das ein starkes Indiz dafür, dass auch Menschen sie gut vertragen. Solche Sicherheitstests sind seit vielen Jahren von den Behörden anerkannt.

iPS-Zellen sollen menschliche Organe heilen

Stammzelltherapien gelten als große Hoffnung der regenerativen Medizin: Sie sollen dazu beitragen, die Funktion erkrankter Organe wiederherzustellen6. Die Verwendung von iPS-Zellen hat dabei zwei große Vorteile. Erstens lösen iPS-Zellen keine ethischen Kontroversen aus, die viele Erkrankte von einer Therapie abhalten könnten. Und zweitens besteht die Möglichkeit, iPS-Zellen direkt aus dem Körper der Betroffenen herzustellen: Das Risiko schwerer Abstoßungsreaktionen oder der Übertragung von Krankheiten ist damit sehr gering.

Der erste Versuch am Menschen fand bereits im September 2014 statt: Japanische Ärzte operierten eine ältere Frau, die an einer altersbedingten Form der Erblindung litt. Sie behandelten ein Auge mit Netzhautzellen, die im Labor aus iPS-Zellen gezüchtet wurden. Die Transplantation stoppte das Fortschreiten der Erkrankung und hatte kaum Nebenwirkungen – der erste Versuch galt damit als Erfolg.

Mittlerweile laufen weltweit etwa 20 Studien mit iPS-Zellen, die Krankheiten wie Morbus Parkinson, Herzschwäche und Querschnittslähmung behandeln. Allerdings ist noch keine abgeschlossen und über den Verlauf ist meist wenig bekannt. Die Entwicklung dauert – wie immer – länger als erwartet.

Banken für eine risikoarme Stammzelltherapie

Eine Erkenntnis scheint sich aber bereits durchgesetzt zu haben: Therapien mit körpereigenen Zellen sind kaum praktikabel. Die Herstellung der iPS-Zellen aus dem eigenen Körper dauert sehr lange. Und auch die Kosten sind sehr hoch. In den meisten Studien werden daher Zellen von fremden Spendern verwendet.

Bei Zellen von fremden Spendern besteht das Risiko, dass sie vom Körper abgestoßen werden. Oft kann diese Reaktion nur durch die langfristige Gabe von Medikamenten unterdrückt werden. Eine sorgfältige Abstimmung von Spender und Empfänger kann das Risiko einer Abstoßungsreaktion jedoch deutlich verringern.

Auch auf diesem Gebiet leistet Shinya Yamanaka nun Pionierarbeit: Er baut in Japan eine Bank von ausgewählten iPS-Zelllinien auf, die sich besonders für die Stammzelltherapie eignen. Ziel ist es, für einen Großteil der japanischen Bevölkerung Zellen einzulagern, die eine risikoarme Stammzelltherapie ermöglichen. Ein ähnlicher Ansatz könnte auch in Europa die Einführung von iPS-Zelltherapien vorantreiben.

1 Adegunsoye et al., Induced Pluripotent Stem Cells in Disease Biology and the Evidence for Their In Vitro Utility, Annual Review of Genetics, November 2023 (Link)
2 Cerneckis et al., Induced pluripotent stem cells (iPSCs): molecular mechanisms of induction and applications, Signal Transduction and Targeted Therapy, April 2024 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Chen et al., The occurrence and development of induced pluripotent stem cells, Frontiers in Genetics, April 2024 (Link)
4 Shinya Yamanaka, Cell, Juni 2024 (Link)
5 Kleiman und Engle, Human inducible pluripotent stem cells: Realization of initial promise in drug discovery, Cell Stem Cell, September 2021 (Link)
6 S. Yamanaka, Pluripotent Stem Cell-Based Cell Therapy—Promise and Challenges, Cell Stem Cell, Oktober 2020 (Link)

Herstellung von iPS-Zellen

induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) werden durch Gentransfer aus normalen Gewebezellen erzeugt
Revolution der Stammzellforschung: Für die induzierten pluripotenten Stammzellen von Shinya Yamanaka muss kein Embryo vernichtet werden, dennoch ist das Entwicklungspotenzial der Zellen fast unbegrenzt.

Definition: iPS-Zellen

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) entstehen im Labor, wenn Forscher normale Gewebezellen durch die Zugabe von genetischen Faktoren neu programmieren. Sie haben ähnliche Eigenschaften wie embryonale Stammzellen.

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Kurz und knapp

  • induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) werden im Labor aus normalen Gewebezellen hergestellt
  • iPS-Zellen sind pluripotent und verhalten sich wie embryonale Stammzellen
  • iPS-Zellen können sich im Labor zu jedem menschlichen Gewebe entwickeln
  • Forscher nutzen iPS-Zellen, um die genetischen Grundlagen von Krankheiten zu untersuchen
  • iPS-Zellen werden eingesetzt, um die Wirkung neuer Medikamente zu testen
  • viele Studien testen iPS-Zellen für den Einsatz in Stammzelltherapien
  • 2014 testeten Mediziner erstmals iPS-Zellen zur Behandlung einer Augenerkrankung
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