Früherkennung von Krebs – nicht immer hilfreich

Je eher, desto besser – diese Hoffnung steht hinter der Früherkennung von Krebs. Doch manchmal ist die Therapie gefährlicher als der Tumor.

Männer unterziehen sich einem PSA-Test für Prostatakrebs, Frauen gehen zur Mammographie. Mit der Einführung dieser Untersuchungen stieg die Zahl der verdächtigen Befunde an, die Rate der Krebstoten nahm ab1. Eine Erfolgsgeschichte. Oder doch nicht?

Krebsvorsorge

Die altersstandardisierten Sterberaten für Brust- und Prostatakrebs nehmen seit Jahren ab. (Quelle: RKI)

Der anfängliche Optimismus machte bald einer gewissen Ernüchterung Platz. Je genauer Forscher sich die Statistiken ansahen, umso ungewisser wurde die Rolle der Früherkennung: Der Rückgang der Sterberate kann nicht allein an der Früherkennung liegen. Bessere Prostata- und Brustkrebstherapien, die etwa zeitgleich verfügbar wurden, haben mit Sicherheit ebenfalls die Sterberate beeinflusst.

Das Risiko zu sterben bleibt gleich

Und obwohl die Todesrate durch Krebs sinkt – zumindest wenn Statistiker die Altersverteilung mit einberechnen – bleibt die Sterblichkeitsrate der Gesamtbevölkerung fast unverändert. Anders gesagt: Das Risiko zu sterben bleibt gleich, Krebs ist nur seltener daran beteiligt2.

Es ist allerdings möglich, dass sich ein positiver Effekt der Früherkennung (missverständlich auch Krebsvorsorge genannt) erst später bemerkbar macht. Dennoch: Die Hoffnung auf ein schlagkräftiges Mittel im Kampf gegen Krebs hat erst mal einen kräftigen Dämpfer erhalten.

Zudem ist nur wenigen bewusst, dass die Früherkennung eine Schattenseite hat. Das Risiko eines unnötigen Eingriffs – Überbehandlung genannt – steigt deutlich an. Bei Brustkrebs schätzen Experten, dass auf jeden verhinderten Krebstod etwa drei Fälle von Überbehandlung kommen3.

Überbehandlungen lassen sich kaum vermeiden, da die Früherkennung ein grundsätzliches Problem hat: Ungefährliche Wucherungen erkennt sie gut, bei den gefährlichsten Tumoren versagt sie jedoch häufig. Warum ist das so?

Früherkennung versagt bei gefährlichen Tumoren

Der amerikanische Krebsarzt H. Gilbert Welch hat dafür ein schönes Bild gefunden4. Er vergleicht Krebszellen mit Tieren auf einem Bauernhof: Da finden sich Schildkröten, die so langsam sind, dass sie den Hof niemals verlassen werden. Kaninchen sind deutlich aktiver, aber ein Zaun kann sie leicht an der Flucht hindern. Vögel hingegen erheben sich – kaum dass man sie entdeckt – in die Lüfte und sind nicht mehr zu stoppen.

Krebszellen verhalten sich ähnlich. Manche verbreiten sich rasch im Körper und führen unweigerlich zum Tod, andere hingegen bleiben an Ort und Stelle und werden niemals eine Gefahr darstellen.

Das Dilemma ist nun, dass die Früherkennung bei den gefährlichsten Tumoren zu spät kommt – die Metastasen haben sich schon im ganzen Körper ausgebreitet. Langsam wachsende Tumore hingegen werden frühzeitig erkannt, aber diese sind meist auch harmlos.

Sinnvoll ist eine Früherkennung nur bei den Tumoren, die sich wie die Kaninchen auf dem Bauernhof verhalten: Sie sind zwar gefährlich, breiten sich aber so langsam aus, dass eine rechtzeitige Therapie sie noch bekämpfen kann.

Überbehandlung als großes Problem

Ärzte haben dabei ein großes Problem: Sie können anfangs kaum unterscheiden, ob ein Tumor gefährlich oder ungefährlich ist. Um auf der sicheren Seite zu sein, behandeln sie alle gleich – mit den stärksten Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen. Viele harmlose Wucherungen werden daher mit Therapien behandelt, die der Gesundheit langfristig schaden können.

Die möglichen Folgen einer Überbehandlung sind vielfältig. Chemotherapien erhöhen das Risiko von Zweittumoren und Nervenschäden von Blutkrebs5. Strahlentherapien können Krebs und Organschäden verursachen6, zudem steigern sie das Risiko von Herzinfarkten7. Und Hormontherapien zur Behandlung von Brustkrebs erhöhen die Gefahr von Schlaganfällen8.

Vorhersagen kaum möglich

Überbehandlungen lassen sich einfach vermeiden – zumindest theoretisch. Wenn Ärzte schon bei der Diagnose wissen, ob ein Krebs gefährlich ist oder nicht, können sie ihre Therapie danach ausrichten. Doch an diesem Wissen fehlt es bislang. Trotz intensiver Suche haben Forscher noch keine sogenannten Biomarker gefunden, mit denen sie die Entwicklung eines Tumors verlässlich abschätzen können.

Für Brustkrebs sind zwar bereits erste Tests auf dem Markt sind, aber deren Vorhersagen sind noch zu vage. Erst wird wohl noch einige Jahre dauern, bis die Krebsforschung hier einen entscheidenden Durchbruch erzielen kann.

Früherkennung kann Leben retten, das bestreitet niemand. Besonders die Untersuchung von Brust, Darm, Prostata und Gebärmutterhals halten Experten für sinnvoll9. Doch bei einem positiven Befund sollte jedem klar sein, dass auch Überbehandlungen die Gesundheit gefährden. Eine sofortige Therapie ist nicht immer die beste Option.

1 Zentrum für Krebsregisterdaten, Datenbankabfrage mit Schätzung der Inzidenz, Prävalenz und des Überlebens von Krebs in Deutschland, Robert Koch-Institut, Stand Dezember 2019, abgerufen März 2021 (Link)
2 Prasad et al., Why cancer screening has never been shown to “save lives” – and what we can do about it, British Medical Journal 2016 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Brustkrebs, Stand Juli 2017, abgerufen Februar 2021 (Link)
4 H. G. Welch, Mammograms can help – and harm, CNN 2013 (Link)
5 DKFZ Krebsinformationsdienst, https://www.krebsinformationsdienst.de/behandlung/chemotherapie/nebenwirkungen.php, krebsinformationsdienst.de, Stand 26.01.2019, abgerufen September 2022 (Link)
6 DKFZ Krebsinformationsdienst, Strahlentherapie: Anwendungsbeispiele und mögliche Nebenwirkungen, krebsinformationsdienst.de, Stand 26.06.2018, abgerufen September 2022 (Link)
7 Gotzsche, Screening for breast cancer with mammography, Cochrane Database Syst. Rev. 2011, (Link)
8 A. Barrat, The risks of overdiagnosis, Nature 2015 (Link)
9 A. Müller-Lissner, Früherkennung von Krebs: Sicher mit Abstrichen, Der Tagesspiegel, Februar 2020 (Link)

Krebsvorsorge

Die altersstandardisierten Sterberaten für Brust- und Prostatakrebs nehmen seit Jahren ab. Ob die Früherkennung daran einen großen Anteil hat, ist aber weiter unklar. (Quelle: RKI)

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Kurz und knapp

  • dank Früherkennung (oder auch Krebsvorsorge) werden mehr Tumore erkannt
  • die altersstandardisierten Sterberaten nehmen ab, was allerdings auch auf verbesserte Therapien zurückzuführen ist
  • Früherkennung erhöht jedoch auch die Gefahr von Überbehandlung
  • bei den gefährlichsten, sehr schnell wachsenden Krebstypen kommt auch die Früherkennung zu spät
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