Gene Drive – Genmanipulation in freier Natur

Ein Gene Drive soll das Erbgut von Wildtieren verändern. Das könnte dabei helfen, Malaria und invasive Arten zu bekämpfen. Doch noch sind viele Fragen offen.

Synthetische Biologie

Eine Vererbung gemäß Mendel verändert nur einen Teil der Nachkommen, bei einem Gene Drive sind es alle.

Die Vererbung nach Mendel ist ein langsamer Prozess: Es kann viele Generationen dauern, bis eine neue Genvariante fest im Erbgut verankert ist. Forschende können diesen Prozess jedoch massiv beschleunigen. Dazu nutzen sie einen „Gene Drive‟, der konkurrierende Gene aktiv aus dem Erbgut verdrängt. Die natürlichen Regeln der Vererbung gelten dann nicht mehr – genmanipulierte Tiere könnten in kurzer Zeit eine ganze Wildpopulation dominieren1.

Für einen Gene Drive gäbe es viele mögliche Anwendungen. Er könnte Mücken bekämpfen und so die Übertragung des Malaria-Erregers verhindern. Invasive Arten zurückdrängen, die natürliche Ökosysteme bedrohen. Oder Insekten bekämpfen, die in der Landwirtschaft große Schäden anrichten.

Im Labor sind einige Gene Drives bereits sehr erfolgreich. Wie sie sich aber in der Natur verhalten, ist völlig unklar. Wildlebende Tiere könnten schnell Resistenzen gegen den Gene Drive entwickeln – er wäre dann bald wirkungslos. Selbst im Erfolgsfall bestehen Risiken, da die Folgen für die betroffenen Ökosysteme noch nicht absehbar sind.

Egoistische Elemente springen im Erbgut

Vorbild für den Gene Drive waren „egoistische‟ genetische Elemente – kurze DNA-Sequenzen, die sich selbstständig im Erbgut ausbreiten. Dazu gehören auch springende Gene oder Transposons: Diese fügen sich weitgehend ungerichtet in die Chromosomen ein und transportieren dabei kaum mehr als ihre eigene Sequenz. Das Einfügen dieser kurzen Sequenzen bleibt in der Regel ohne spürbare Folgen.

Im Jahr 2003 schlug der britische Forscher Austin Burt vor, neue genetische Eigenschaften an egoistische genetische Elemente zu koppeln. Dieser Gene Drive hätte – im Gegensatz zu den natürlichen Elementen – ein klares Ziel: Den betroffenen Organismus genetisch zu verändern.

Doch erst mit der Entwicklung der Genschere CRISPR/Cas konnte dieser Ansatz erfolgreich umgesetzt werden. Mit Hilfe von CRISPR/Cas können Genvarianten gezielt in das Erbgut eingefügt werden. Dabei werden die anderen Gensequenzen an dieser Stelle überschrieben. Der Gene Drive breitet sich so selbstständig im Erbgut aus – und das auch in jeder folgenden Generation.

Die Mendel’schen Regeln gelten nicht mehr

Damit werden die normalen Mechanismen der sexuellen Fortpflanzung außer Kraft gesetzt. Gemäß den Mendelschen Regeln gibt jedes der beiden Elternteils jeweils ein Chromosom an seine Nachkommen weiter. Die Nachkommen erhalten so in der Regel zwei Varianten von jedem Gen – eine mütterliche und eine väterliche. Und sie können auch eine dieser Varianten an ihre Nachkommen weitergeben.

Ein Gene Drive wird jedoch in den Keimzellen aktiv und überschreibt die zweite Genvariante. Das veränderte Individuum trägt also nur noch eine einzige Variante – und gibt diese an alle Nachkommen weiter. Dieser Vorgang wiederholt sich in allen folgenden Generationen: Der Gene Drive breitet sich so rasch in der Population aus1.

In der Theorie könnten am Ende alle Individuen einer Population die gentechnische Veränderung tragen. Wann dieser Punkt erreicht ist, hängt stark von den Ausgangsbedingungen ab. Forschende halten es aber für möglich, dass einige Dutzend Generationen genügen könnten. Bei Tieren mit kurzen Generationszeiten – wie Mücken und Fliegen – wäre dies schon nach wenigen Jahren der Fall2.

Populationen verändern oder ganz unterdrücken?

Ein Gene Drive kann sich auch dann durchsetzen, wenn er die Überlebenschancen der manipulierten Tiere beeinträchtigt. Auf diese Weise können Gene eingeschleust werden, die die Biologie des Tieres in einer Weise verändern, die den Interessen des Menschen entspricht. Dabei werden oft zwei verschiedene Formen des Gene Drive unterschieden – der Suppression Drive und der Modification Drive (engl., Unterdrückung bzw. Abwandlung).

Suppression Drive

Ziel dieser Variante ist es, die Größe einer Population zu verringern. Dabei werden Gene eingefügt, die die Fruchtbarkeit oder das Überleben der Individuen beeinträchtigen. In der Regel spürt nur eines der beiden Geschlechter die Folgen. So können z.B. Männchen den Gene Drive weiter in der Population verbreiten, während die Weibchen unfruchtbar werden oder absterben.

Ursprünglich ging die Forschung davon aus, dass ein Suppression Drive die Wildpopulationen vollständig auslöschen könnte. Neuere Modellrechnungen zeigen jedoch, dass ein Aussterben kaum realistisch ist. Wahrscheinlicher ist, dass der Suppression Drive starke, regional begrenzte Schwankungen auslöst. Die Populationen würden in regelmäßigen Abständen drastisch abnehmen und sich dann wieder erholen2.

Modification Drive

Ein Modification Drive soll die Überlebenschancen der veränderten Tiere möglichst wenig beeinflussen. Ziel ist es vielmehr, bestimmte biologische Eigenschaften der Tiere gezielt zu verändern. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass ein Insekt die Fähigkeit verliert, Krankheitserreger auf den Menschen zu übertragen.

Weiter fortgeschritten ist dieses Konzept bereits bei Stechmücken der Gattung Anopheles, die den Malariaerreger Plasmodium übertragen. So können bestimmte Genvarianten verhindern, dass sich der Erreger im Darm der Mücke ungestört vermehren kann. Oder der Modification Drive fügt das Gen für einen künstlichen Antikörper ein, der den Erreger in der Mücke unschädlich macht.

Mögliche Ziele – Mäuse, Malaria und die Schraubenwurmfliege

Die Entwicklung von Gene Drives verfolgt im Wesentlichen drei Ziele. Im Vordergrund steht die Bekämpfung von Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, insbesondere der Malaria. Häufig wird auch diskutiert, invasive Arten mit der Hilfe von Gene Drives zurückzudrängen. Und in der Landwirtschaft besteht ein großes kommerzielles Interesse, den Ertrag von Nutzpflanzen zu steigern oder Nutztiere vor Parasiten zu schützen.

1. Übertragbare Krankheiten eindämmen

Mücken übertragen zahlreiche Krankheiten, darunter Malaria, Zika und Dengue. Ein Suppression Drive könnte dazu beitragen, die Gesamtzahl der Mücken zu reduzieren. Alternativ könnte ein Modification Drive genetische Veränderungen einführen, die es Krankheitserregern erschweren, in den Mücken zu überleben. Beide Ansätze könnten die Ansteckungsgefahr für den Menschen deutlich verringern.

Die größten Anstrengungen auf diesem Gebiet werden im Kampf gegen Malaria unternommen. Die Organisation Target Malaria hat bereits vor Jahren mit Vorarbeiten zur Freisetzung von Gene-Drive-Mücken in Afrika begonnen. Da aber noch viele methodische und ethische Fragen offen sind, wird es wohl noch einige Jahre dauern, bis der erste Freilandversuch durchgeführt werden kann.

2. Invasive Arten bekämpfen

Eingeschleppte Arten sind ein weltweites Problem und können der heimischen Tier- und Pflanzenwelt großen Schaden zufügen. So bedrohen Ratten und Mäuse auf kleinen Inseln den Bestand von Seevögeln. Und in Australien verdrängt die Aga-Kröte einheimische Amphibien und dezimiert mit ihrem Gift mögliche Fressfeinde.

Ein Suppression Drive könnte helfen, invasive Arten zurückzudrängen. Erste Laborversuche mit Mäusen waren bislang allerdings nur bedingt erfolgreich.

3. Schäden für die Landwirtschaft vermeiden

Blattläuse, Fliegen und andere Insekten gefährden den Ernteerfolg fast aller Nutzpflanzen. In manchen Regionen werden auch Weidetiere von Parasiten wie der Schraubenwurmfliege befallen. Einige Forschende sehen in Suppression Drives eine Möglichkeit, diese Insekten zurückzudrängen und der Landwirtschaft hohe Kosten zu ersparen.

Außerdem haben viele Insekten Resistenzen gegen gängige Insektizide entwickelt. In diesen Fällen könnte ein Modification Drive diese Resistenz aufheben und die Wirksamkeit des Insektizids wiederherstellen.

Resistenzen sind nur schwer zu vermeiden

Ein Gene Drive hat aber nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine wesentliche Voraussetzung erfüllt ist: Das Erbgut muss eine Zielsequenz enthalten, die bei allen Individuen einer Population nahezu identisch ist. Denn schon kleine Veränderungen in der Zielsequenz können dazu führen, dass der Gene Drive nicht funktioniert – die Tiere sind resistent. In vielen Fällen werden resistente Tiere einen Überlebensvorteil haben. Sie vermehren sich dann deutlich schneller und lassen den Gene Drive ins Leere laufen.

Zudem ist zu erwarten, dass der Gene Drive selbst die Ausbildung von Resistenzen fördert. Kleine, meist kaum vermeidbare Fehler bei der Durchführung können zu Mutationen führen, die die Zielsequenz unbrauchbar machen. Diese Varianten würden sich bevorzugt ausbreiten und den Gene Drive wirkungslos machen.

Forscher müssen daher den Gene Drive durch zusätzliche Maßnahmen absichern, damit er sich über eine ausreichende Zahl von Generationen hinweg ausbreiten kann. Das ist bislang nur in wenigen Fällen gelungen. Und selbst diese Erfolge gelangen nur im Labor. Ob diese Gene Drives auch in freier Natur bestehen, ist offen.

Folgen für die Natur kaum absehbar

Selbst wenn ein Gene Drive gelingen sollte, sind die Folgen für die Natur schwer abzuschätzen. Allgemein ist wenig darüber bekannt, welche Rolle Mücken und andere Insekten in einem Ökosystem spielen. Werden einzelne Arten – und sei es nur vorübergehend – daraus entfernt, kann dies unerwartete Folgen haben.

Zudem ist noch nicht klar, wie ein Gene Drive kontrolliert werden kann, wenn er unerwartete oder schädliche Auswirkungen hat. Zwar gibt es erste Konzepte und Versuche, wie ein derartiger Neutralizing Drive aussehen könnte. Diese Forschung hinkt aber der Entwicklung der primären Gene Drives deutlich hinterher.

Öffentliches Bewusstsein fehlt

Angesichts dieser Probleme haben führende Wissenschaftler bereits 2014 einen öffentlichen Aufruf verfasst: Sie forderten

  • eine behutsame Vorgehensweise
  • Schutzmaßnahmen gegen ungewollte Verbreitung
  • die Entwicklung neuer Methoden, die im Ernstfall eine Rücknahme der genetischen Manipulationen möglich machen.

Und auch die Öffentlichkeit wurde aufgefordert, über Nutzen und die Risiken des Gene Drives zu diskutieren. Das Echo auf diesen Aufruf war jedoch verhalten. Eine breite öffentliche Debatte ist noch nicht in Gang gekommen. Dabei wird der Test eines Gene Drive bereits seit vielen Jahren in Afrika vorbereitet. Dazu wurden detaillierte Pläne ausgearbeitet, die eine Freisetzung noch vor dem Jahr 2030 anstreben3.

Teil 1/3: Gene Drive: Riskante Genmanipulation in freier Natur
Teil 2/3: Wie funktioniert ein Gene Drive?
Teil 3/3: Malaria und invasive Arten als Ziel
1 E. Bier, Gene drives gaining speed, Nature Reviews Genetics, Januar 2022 (Link)
2 North et al., Modelling the suppression of a malaria vector using a CRISPR-Cas9 gene drive to reduce female fertility, BMC Biology, August 2020 (Link)
3 Connolly et al., Considerations for first field trials of low-threshold gene drive for malaria vector control, Malaria Journal, Mai 2024 (Link)

Synthetische Biologie

Eine Vererbung gemäß Mendel verändert nur einen Teil der Nachkommen, bei einem Gene Drive sind es alle.
Ein Gene Drive setzt die Regeln der Mendelschen Vererbung außer Kraft.

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Broschüre zum Gene Drive

Kunstdrucke und Naturfotografie von Jens Rosbach

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Kunstdrucke und Naturfotografie von Jens Rosbach

Naturfotografie auf jensrosbach.de

Kurz und knapp

  • ein Gene Drive verdrängt konkurrierende Genvarianten aus dem Erbgut
  • im Labor kann er sich rasch in Mücken und Fliegen durchsetzen
  • ein Gene Drive könnte bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und der Eindämmung invasiver Arten helfen
  • er ist aber anfällig für Resistenzen, die seine Verbreitung verhindern
  • ob sich ein Gene Drive in der freier Natur ausbreiten kann, ist noch unklar
  • wie sich ein Gene Drive auf die Umwelt auswirkt, ist noch nicht absehbar
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