Mitochondrien-Spende: Drei Eltern für ein Kind

Die Mitochondrien-Spende soll schwere Krankheiten verhindern, indem sie das Erbgut ungeborener Kinder verändert. Doch es gibt medizinische und ethische Bedenken.

Mitochondrien-Spende

Eines von 5000 Kindern kommt mit einer Mitochondriopathie zur Welt. Die Folgen dieser seltenen Erkrankungen können verheerend sein: langsamer Verlust der geistigen und körperlichen Fähigkeiten, jahrelanges Siechtum und schließlich der sichere Tod.

Auslöser dieser Krankheiten ist eine Fehlfunktion der Mitochondrien, der Kraftwerke der Zellen1. Seit 2016 steht in Großbritannien eine Therapie zur Verfügung, die Mitochondriopathien von Grund auf heilen könnte – die Mitochondrien-Spende.

Mitochondrien-Spende nach langer Diskussion zugelassen

Alle Mitochondrien eines Kindes stammen aus der Eizelle der Mutter. Sind diese Mitochondrien defekt, gibt es im Moment nur einen denkbaren Weg der Heilung – den Austausch von Eizellen kurz vor oder nach der Befruchtung2. Diese Mitochondrien-Spende gilt jedoch als riskant, weil die Folgen für den Embryo nicht völlig klar sind.

Auch in Großbritannien hat man diese Einwände nicht auf die leichte Schulter genommen. Die Zulassung der Mitochondrien-Spende wurde viele Jahre lang diskutiert und von Fachgremien geprüft. Am Ende sprachen sich fast alle Experten für die Zulassung aus, und auch die Bevölkerung hatte nichts gegen die sogenannten „Drei-Eltern-Babys“ einzuwenden.

Anfang 2015 wurde die entsprechenden Gesetze beschlossen, und im Dezember 2016 fielen die letzten regulatorischen Hürden. Angewendet wird die Methode bislang aber nur sehr zögerlich: Bis April 2023 kamen nicht mehr als fünf behandelte Babys zur Welt3.

Austausch von Erbmaterial

In der Praxis verlangt die Manipulation der winzigen Eizellen viel Fingerspitzengefühl. Der gängige Begriff Mitochondrien-Spende ist dabei irreführend – eigentlich handelt es sich um den Austausch der Erbinformation. Das genetische Material wird aus der mütterlichen Eizelle in die Eizelle einer gesunden Spenderin transferiert.

Voraussetzung ist immer eine künstliche Befruchtung, da nur so eine Manipulation im Reagenzglas möglich ist. Das Erbgut kann entweder vor der Befruchtung der Eizelle überführt werden oder auch danach. Die letztere Methode entspricht weitgehend dem Kerntransfer, mit dem auch das Klonschaf Dolly entstand.

Am Ende sollte sich das Erbgut der Mutter bzw. des Kindes in einer Eizelle befinden, die voller funktionstüchtiger Mitochondrien ist. Das Kind hat alles was es braucht – es kann sich normal entwickeln und kommt gesund zur Welt. Hoffen jedenfalls die Experten.

„Drei-Eltern-Babys“ – medizinische Risiken bleiben

Denn die Mitochondrien-Spende ist nicht ohne medizinische Risiken. Eines der Probleme liegt darin, dass die mütterlichen Mitochondrien meist nicht vollständig entfernt werden – eine kleine Zahl hängt meist am mütterlichen Erbgut und gelangt so in die neue Eizelle. Neuere Studien deuten an, dass sich die defekten Mitochondrien im Laufe der Zeit anreichern und die Krankheit erneut auslösen könnten4. Die Mitochondriopathie wäre dann nicht geheilt, sondern ihr Ausbruch nur nach hinten verschoben.

Es bleibt auch unklar, ob das mütterliche Erbgut problemlos mit den Genen zusammenarbeitet, die die Mitochondrien der Spenderin in sich tragen. Ein Mitochondrium besitzt zwar nur 37 eigene Gene, was im Vergleich zu den etwa 20 000 Genen der Mutter verschwindend wenig ist. Aber manche dieser mitochondrialen Gene sind von zentraler Bedeutung für den Energiestoffwechsel der Zelle – schon kleinere Abstimmungsschwierigkeiten könnten fatale Folgen haben. In manchen Tierversuchen – allerdings mit Fliegen – waren derartige Probleme schon zu beobachten.

Genetische Defekte in amerikanischen Versuchen

Zur Vorsicht mahnt auch ein Versuch, der bereits vor etwa 20 Jahren stattfand. Ärzte einer US-amerikanischen Klinik hatten Eizellen von Patientinnen mit winzigen Mengen von Zellflüssigkeit aus Spender-Eizellen behandelt – in der Hoffnung, deren Fruchtbarkeit zu erhöhen5. Als die Gesundheitsbehörde davon Wind bekam, hat sie die Versuche schnell gestoppt. Letztlich wurden daher nur 17 Kinder mit dieser Methode erzeugt. Die Ergebnisse gaben Anlass zur Sorge: Es trat eine ungewöhnlich hohe Zahl von genetischen Defekten auf.

Sehr kontrovers war auch das Vorpreschen eines US-amerikanischen Arztes. Er behandelte ein jordanisches Ehepaar, das bereits vier Fehlgeburten hinter sich und zwei Kinder verloren hatte, da die Mutter an einem selten genetischen Defekt der Mitochondrien litt. In den USA war dieser Eingriff jedoch verboten, und so wich der Arzt nach Mexiko aus. Am 6. April 2016 wurde ein Junge geboren, der sich zumindest in ersten Lebensmonaten normal entwickelte.

Dieses Vorgehen war höchst kontrovers, denn viele Kritiker glauben, dass die Mitochondrien-Spende nicht ausreichend getestet ist7. Sie sähen es lieber, wenn die grundlegenden Vorgänge noch weiter in Tierversuchen untersucht werden. Doch Befürworter der Methode halten dagegen, dass Tierversuche in diesem Zusammenhang wenig zur Klärung beitragen. Sicherheit können nur Versuche am Menschen schaffen.

Keimbahntherapie: Bruch eines Tabus

Offene Fragen bleiben auch auf dem Feld der Ethik. Bei der Gentherapie galt ein Tabu lange als unantastbar: Manipulationen am Erbgut dürfen sich nicht auf die folgenden Generationen auswirken. Doch dies ist bei der Mitochondrien-Spende der Fall: Die Gene in den Mitochondrien verändern das Erbgut der Mutter, und diese Veränderungen werden an alle Nachkommen weiter gegeben. Das Tabu ist damit gebrochen.

Dies wird Folgen für andere Erbkrankheiten haben. Es wird wohl bald möglich sein, defekte Gene so zielgenau zu reparieren, dass an keiner anderen Stelle des Erbguts Spuren übrig bleiben. Angewendet bei einem frühen Embryo, könnten diese Methoden Erbkrankheiten von vornherein verhindern – oder den Gendefekt vollständig aus dem Genpool der Menschheit tilgen. Eine Vorstellung, die manche Experten mit Unbehagen erfüllt – die Nähe zum diskreditierten Gedankengut der Eugenik ist unübersehbar6.

Behandlung von Unfruchtbarkeit?

Und die Folgen des Tabu-Bruchs könnten auch weit über Erbkrankheiten hinausgehen. Ein amerikanischer Forscher plant, mit der Mitochondrien-Spende eine Unfruchtbarkeit bei Frauen zu behandeln. Dann wären nicht nur einige wenige Kinder mit seltenen Krankheiten betroffen, die Zahl der Fälle könnten in die Tausende oder Abertausende steigen.

Neben Großbritannien hat nun auch Australien die Mitochondrien-Spende zugelassen7. In den USA wird eine Entscheidung jedoch durch ein Haushalts-Gesetz blockiert8. Und in Deutschland schließt die Rechtslage eine Zulassung dieser Methode eindeutig aus. Doch wenn in Großbritannien überwiegend gute Erfahrung mit der Mitochondrien-Spende gemacht werden, wird man sich auch hierzulande nicht länger gegen eine Einführung sperren können.

Vor über 40 Jahren war Großbritannien schon einmal Vorreiter – bei der künstlichen Befruchtung. Ähnlich wie heute gab es damals großes Unbehagen und zahlreiche Einwände. Die Entwicklung hat seitdem alle Bedenkenträger widerlegt, die künstliche Befruchtung ist längst ein normaler Teil der Medizin geworden. Ähnliches hoffen die Befürworter auch für die Mitochondrien-Spende – doch hier sind die Unwägbarkeiten wesentlich höher.

1 Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V., Mitochondriale Myopathien, dgm.org, abgerufen April 2023 (Link)
2 Moreira Farnezi et al., Three-parent babies: Mitochondrial replacement therapies, JBRA Assist Reprod., April 2020 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 J. Gallagher, Baby born from three people's DNA in UK first, BBC News, Mai 2023 (Link)
4J. Hamzelou, Three-parent baby technique could create babies at risk of severe disease, MIT Technology Review, März 2023 (Link)
5 E. Callaway, Reproductive medicine: The power of three, Nature Mai 2014 (Link)
6 M. Darnovsky, A slippery slope to human germline modification, Nature Juli 2013 (Link)
7 A. Salleh, 'Maeve's Law' passes Senate hurdle to legalising mitochondrial donation through IVF, ABC News, März 2022 (Link)
8 Johnson und Bowman, It’s time for Congress to stop blocking mitochondrial replacement therapy, STAT News, April 2022 (Link)

Mitochondrien-Spende

Spindelapparat-Transfer: Bei dieser Variante der Mitochondrien-Spende wird das Erbgut vor der künstlichen Befruchtung ausgetauscht.

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Kurz und knapp

  • defekte Mitochondrien lösen seltene Erbkrankheiten aus, die Mitochondriopathien
  • bei einer künstlichen Befruchtung kann eine Mitochondrien-Spende die Mitochondriopathie heilen
  • das Erbgut der Mutter bzw. des Kindes wird in eine gespendete Eizelle überführt („Drei-Eltern-Baby“)
  • die medizinischen Risiken sind noch unklar
  • eine Mitochondrien-Spende ist eine genetische Manipulation der Keimbahn – ein ethisch kontroverser Eingriff
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