Synthetische Schaltkreise - die Zelle als Biosensor

Gifte in der Umwelt oder Erreger im Körper - rechnende Zellen könnten sie frühzeitig entdecken. Synthetische Biologen konstruieren dafür Schaltkreise, die logische Operationen in lebenden Zellen durchführen.

Jede einzelne Zelle, vom Bakterium bis zur Nervenzelle, muss auf Signale aus der Umwelt reagieren. Alle dazu notwendigen Komponenten sind vorhanden: Verstärker, Widerstände, Rückkopplungs-Mechanismen - natürliche Signalwege stehen einem Computer an Komplexität kaum nach.

Synthetische Schaltkreise

Schaltplan für Zellen. (Yi et al., PLoS ONE)

Warum also nicht die Zelle als Computer nutzen? Winzige zelluläre Rechner könnten Aufgaben erfüllen, für die ihre großen elektronischen Kollegen ungeeignet sind. Doch dazu müssen Forscher die Signalwege der Zellen umbauen und für ihre Zwecke nutzen. Hier betreten wir das Feld der synthetischen Biologie: Diese junge Disziplin will nicht mehr nur beobachten, sondern biologische Systeme neu erschaffen.

Logische Verknüpfungen

Synthetische Biologen sind dabei schon ein gutes Stück vorangekommen. Ein Grundpfeiler der Logik sind die Booleschen Operatoren: In der einfachsten Form - den Verknüpfungen AND und NOT - kommen sie bei fast jeder Datenbank- oder Internetsuchen zum Einsatz. Nun funktionieren sie auch in Bakterien, und noch vierzehn weitere dazu - darunter die komplizierten XNOR- und XOR-Verknüpfungen1,2. Damit stehen alle logischen Operationen zur Verfügung, die aus der Verbindung von zwei Signalen und einem Produkt entstehen.

Nicht nur Bakterien, auch Zellen von Säugetieren eignen sich als Minicomputer. Synthetische Biologen aus der Schweiz sind dabei noch einen Schritt weiter gegangen: Sie haben einzelne logische Funktionen als selbständige "plug-and-play" Komponenten erzeugt - je nach Kombination führen die Zellen andere Rechenoperationen aus3.

Synthetische Schaltkreise in Zellen beeinflussen sich gegenseitig - ihre Zahl kann daher nicht beliebig erhöht werden. Um das Problem zu umgehen, teilten Forscher die Schaltkreise in unterschiedliche Zellen auf4,5. Die Zellen arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen und kommunizieren untereinander mit Signalmolekülen. Auf der höchsten Ebene werden dann die Signale zusammengefasst und das endgültige Ergebnis berechnet.

Forscher haben auch Schaltkreise entwickelt, die anderen Regeln folgen als ein Computer. Ein Computer lebt in einer digitalen Welt, er kennt nur 0 und 1. Eine Zelle jedoch verarbeitet Informationen auf analoge Weise - für sie gibt es auch stark oder schwach, viel oder wenig. Schaltkreise, die auf analogen Prinzipien beruhen, vollziehen komplexe Rechenoperation mit deutlich weniger Aufwand6. So können Zellen auch logarithmische Berechnungen ausführen - bei stark schwankenden Umweltbedingungen ein großer Vorteil.

Abwehr von Infektionen

Wo liegen die praktischen Anwendungsmöglichkeiten für einen zellulären Computer? Ein Beispiel sind Bakterien, die das Umweltgift Arsen aufspüren. Diese Bakterien senden in regelmäßigen Abständen Lichtsignale aus - und wenn Arsen in der Nähe ist, werden die Abstände kürzer7. Das System arbeitet so verlässlich, dass die Frequenz der Lichtsignale sogar über die Konzentration des Umweltgiftes Auskunft gibt.

Andere Forscher wollen Infektionen bekämpfen. Ihre programmierten Zellen identifizieren Pseudomonas-Erreger, die in geschwächten Patienten lebensbedrohliche Entzün­dungen auslösen können8. Doch damit nicht genug: Nach Kontakt mit Pseudomonas produzieren die Zellen ein Bakterien­gift und schütten es in die Umgebung aus. In ersten Laborversuchen konnten so 99 % der Erreger abgetötet werden.

Logische Schaltkreise in lebenden Zellen - damit betritt die synthetische Biologie unerprobtes Neuland. Doch die Vorteile liegen auf der Hand: Zelluläre Biosensoren sind klein, robust und transportabel. Sie können damit in Gegenden zum Einsatz kommen, die weit entfernt von modernen Analyselaboren sind. Vielleicht können sie sogar im menschlichen Körper aktiv werden und Infektionen an Ort und Stelle bekämpfen. Die Möglichkeiten sind faszinierend - doch von einem Einsatz in der Praxis sind sie momentan noch weit entfernt.

1 Bonnet et al., Amplifying Genetic Logic Gates, Science 2013 (Link)
2 Siuti et al., Synthetic circuits integrating logic and memory in living cells, Nature Biotechnology 2013 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Ausländer et al., Programmable single-cell mammalian biocomputers, Nature 2012 (Link)
4 Tamsir et al., Robust multicellular computing using genetically encoded NOR gates and chemical 'wires', Nature 2011 (Link)
5 Regot et al., Distributed biological computation with multicellular engineered networks, Nature 2011 (Link)
6 Daniel et al., Synthetic analog computation in living cells, Nature 2013 (Link)
7 Prindle et al., A sensing array of radically coupled genetic 'biopixels', Nature 2012 (Link)
8 Saeidi et al., Engineering microbes to sense and eradicate Pseudomonas aeruginosa, a human pathogen, Molecular Systems Biology 2011 (Link)

Synthetische Schaltkreise

Schaltplan für Zellen: Die Erzeugung einer logischen XOR-Verknüpfung in E. coli-Bakterien. (Bild: Yi et al., PLoS ONE)

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Kurz und knapp

  • natürliche Signalwege in Zellen verwenden Komponenten wie Verstärker, Widerstände und Rückkopplungsmechanismen
  • synthetische Biologen nutzen diese Komponenten und stellen daraus künstliche Schaltkreise zusammen
  • viele Verknüpfungen der Booleschen Logik konnten schon in lebenden Zellen realisiert werden
  • mögliche Anwendungsbereiche sind das Aufspüren von Umweltgiften und die Bekämpfung von Infektionen
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