Stammzellforschung und Ethik – mehr als der Embryo

Die Gefahren der Stammzellforschung werden oft dramatisch überzeichnet. Doch der Kern des Unbehagens ist reell: Stammzellen ermöglichen es, ein Lebewesen – auch den Menschen – grundlegend zu verändern.

Ethische Probleme bei Stammzellen

Die Stammzellenforschung erlaubt die genetische Manipulation von Menschen vor der Geburt.

Die Diskussion über Stammzellen und Ethik beschränkt sich meist auf die embryonalen Zellen. Doch so einfach ist es nicht: Auch die iPS-Zellen aus dem Labor sind einfach zu manipulieren und können sich zu einem Menschen entwickeln.

Problem I: Die embryonale Stammzelle

Um embryonale Stammzellen zu gewinnen, muss ein Embryo zerstört werden. Vernichtet man damit ein menschliches Leben? Der Streit um diese Frage ist stark von religiösen Ansichten geprägt, vor allem die christlichen Kirchen haben deutlich Position bezogen.

Für die katholische Kirche ist die Sachlage eindeutig: Das Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei und Samen, die Zerstörung des Embryos kommt einem Mord nah; die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist daher grundsätzlich abzulehnen.

Die evangelische Kirche sieht dies differenzierter: Sie wägt den ethischen Status des Embryos gegen den Nutzen für die Patienten ab und könnte sich übergangsweise mit dieser Art von Forschung arrangieren. Juden und Moslems hingegen finden das Thema weniger kontrovers: Für sie fängt das Leben erst 40 Tage nach der Befruchtung an. Auch in Asien lösen embryonale Stammzellen kaum Emotionen aus. Es ist die christliche Ethik, die sich mit ihnen schwertut.

Zellhaufen oder Mensch? Forscher betrachten den frühen Embryo eher unter biologischen als unter ethischen Aspekten. Sie weisen gerne darauf hin, dass der Embryo in diesem Stadium noch keine Nervenzellen hat – und damit auch kein Bewusstsein. Die Hirntod-Diagnose, ein gängiges Todeskriterium, folgt der gleichen Logik: kein Bewusstsein, kein Mensch. Dennoch – eine wissenschaftliche Definition dafür, wann das menschliche Leben anfängt, gibt es nicht.

Der Begriff "verbrauchende Embryonenforschung" löst nicht nur in der katholischen Kirche Unbehagen aus. Falls es zur Routine wird, potenziell menschliches Leben im Reagenzglas zu vernichten, ist dies fraglos eine Grenzüberschreitung. Vor allem wenn der menschliche Embryo zum Rohstoff für eine Industrie wird, die auf diesem Weg satte Profite einfährt.

Der wissenschaftliche Fortschritt gerät regelmäßig mit der Ethik in Konflikt. So 1967 bei der ersten Herztransplantation, 1978 mit der Geburt des "Retortenbabys" Louise Brown und 1997 durch die Erzeugung des Klonschafs Dolly. Können wir aus unserer jüngeren Geschichte lernen? Dies zumindest ist die Lektion aus der künstlichen Befruchtung: Wenn der medizinische Nutzen überzeugt, werden ethische Bedenken meist ins zweite Glied verwiesen.

Problem II: Die iPS-Zelle

Wer pluripotente Stammzellen manipulieren kann, kann auch den Menschen manipulieren. Dies ist keine theoretische Gefahr, wie ein Blick auf die induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) zeigt. Im Fall von Mäusen dienten sie bereits als Ausgangsmaterial für:

  • männliche und weibliche Keimbahnzellen
  • chimäre Tiere, in denen sich unterschiedliche Individuen mischen
  • eine vollständige Maus

Was bei Mäusen bereits Wirklichkeit ist, ist auch beim Menschen in greifbare Nähe gerückt1. Zusammen mit den Fortschritten der Gentechnik ergibt sich eine beunruhigende Perspektive: Aus jedem Menschen können iPS-Zellen hergestellt werden, das Genom dieser Zellen lässt sich verändern und die so veränderten Zellen werden Teil eines anderen Menschen – der das manipulierte Genom an seine Kinder weitervererbt2.

Zwei Aspekte machen die iPS-Zellen besonders anfällig für Manipulationen: Erstens, sie sind relativ einfach zu erzeugen. Was bei der Dolly-Methode noch wenigen Spezialisten vorbehalten war, kann jetzt in jedem gut ausgestatteten Labor der Welt durchgeführt werden. Zweitens, jedes menschliche Genom ist verfügbar. Ein kleines Hautstück reicht, um daraus iPS-Zellen zu gewinnen.

Die iPS-Zelltechnologie wird sich weiterentwickeln und das wird vielleicht dabei helfen, bislang unheilbare Krankheiten zu therapieren. Doch sie wird auch die Möglichkeit eröffnen, Teile unserer Erbinformation dauerhaft zu verändern.

Die Gesellschaft muss sich der Gefahren bewusst werden und ethisch bedenkliche Entwicklungen stoppen, bevor sie Fuß gefasst haben. Und aufstellen, was prominente Stammzellforscher schon lange fordern: Klare Regeln und Gesetze, welche die Verwendung der iPS-Zellen mit unserer Ethik in Einklang bringen.

Problem III: Das reproduktive Klonen

Mit dem Klonschaf Dolly wurde das reproduktive Klonen eine reelle Möglichkeit. Das hat Angst-Phantasien geweckt, die Science-Fiction-Filmen gleichen – wahnsinnige Diktatoren etwa, die sich selber klonen oder Armeen von unbesiegbaren Kriegern erschaffen. Tatsächlich kann der Transfer eines Zellkerns (etwa aus der Haut) in eine Eizelle etwas Erstaunliches leisten: Das Erbgut eines erwachsenen Tieres wird in den Urzustand zurückversetzt und in einem neuen Lebewesen wieder geboren.

Im Jahr 2013 ist es Forschern in den USA erstmals gelungen, menschliche Zellen durch einen Kerntransfer zu klonieren3. Eine wenig beachtete Studie in China hat etwas später versucht, derartige Zellen für die Therapie einer Augenerkrankung einzusetzen4. Weitere Anwendung von klonierten Zellen bleiben allerdings Mangelware: Die Technik des Kerntransfers ist so schwierig und zeitraubend, dass sie mittlerweile kaum noch eingesetzt wird.

Sollte das reproduktive Klonen dennoch in Zukunft auch beim Menschen eingesetzt werden, stehen wir vor einem großen Problem. Auf der einen Seite ist klar, dass fast jeder die Vorstellung eines geklonten Menschen als zutiefst beunruhigend und abstoßend empfindet. Doch genauso sicher ist, dass manche Menschen sich genau davon angezogen fühlt. Wie verhindert man den Missbrauch einer Methode, die problemlos auch in kleinen illegalen Laboren durchführbar wäre?

1 Gell et al., Restoring Fertility with Human Induced Pluripotent Stem Cells: Are We There Yet? Cell Stem Cell, Dezember 2018 (Link)
2 Rolfes et al., Diskurse über induzierte pluripotente Stammzellforschung und ihre Auswirkungen auf die Gestaltung sozialkompatibler Lösungen, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2017 (Link)
alle Referenzen anzeigen 3 Tachibana et al., Human Embryonic Stem Cells Derived by Somatic Cell Nuclear Transfer, Cell, Mai 2013 (Link)
4 Kobold et al., A Manually Curated Database on Clinical Studies Involving Cell Products Derived from Human Pluripotent Stem Cells, Stem Cell Reports, Juli 2020 (Link)

Ethische Probleme bei Stammzellen

Die Stammzellenforschung erlaubt die genetische Manipulation von Menschen vor der Geburt.
Eine Möglichkeit, die Stammzell-Technologie zu missbrauchen: Pluripotente Stammzellen – wie embryonale Zellen oder iPS-Zellen – können Teil eines lebenden Wesens werden.

Streit-Themen

  • Die Schlüsselfrage: Ab wann ist der Mensch ein Mensch? mehr..
  • Die Weltreligionen: Was sagen sie dazu? mehr..
  • Die evangelische Kirche: Ablehnend aber undogmatisch mehr..
  • Die katholische Kirche: Schärfste Verurteilung mehr..
  • iPS-Zellen und Ethik: Zugriff auf die Keimbahn mehr..
  • Fetale Stammzellen: Keinen Streit wert? mehr..
  • Künstliche Befruchtung: Vorläufer der Stammzell-Diskussion mehr..
  • Präimplantationsdiagnostik: Der Weg zum perfekten Baby? mehr..
  • Social Freezing: Ein kontroverses Verfahren? mehr...

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